MEISTERDIEBE UND GERNE-TEILENDE

von | 03.01.2017

Eine Welt, in der alle alles ständig klauen – in der Besitzansprüche völlig haltlos sind – geht das? Dieser Frage geht Klub Kirschrot in der Workshop-Reihe »Alles nur geklaut« für gehörlose und hörende Menschen zwischen 10 und 18 Jahren nach. Im Dezember fanden die ersten Schnupperworkshops an verschiedenen Schulen in Freiburg und Umgebung statt: Im Bildungs- und Beratungszentrum für Hörgeschädigte Stegen, an der Emil-Dörle-Realschule in Herbolzheim und auch im Tanzstudio des Theater Freiburg lud Klub Kirschrot zum gemeinsamen Spielen, Zeichnen und Herumspinnen ein.

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Pünktlich um 9 Uhr stehen die ersten Schülerinnen und Schüler vor der Tür zur Aula des Bildungs- und Beratungszentrums für Hörgeschädigte Stegen und warten gespannt auf den Workshop. Einzeln treten sie leise ein und schreiben jeweils einen Gegenstand auf ein Papier, den sie NIE weggeben würden. »Mein Handy,« heißt es oft und schnell – andere brauchen etwas länger, um sich zu entscheiden: »Mein Bett«, »Meine Schwimmbrille«, »Meine Pferdepostkarten«, »Meine Playstation« …

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Es folgt ein sehr »heiliges« Ritual: Einzeln tritt jede Schülerin und jeder Schüler still und mysteriös vor und legt ihren Zettel in die funkelnd-leuchtende Kiste, die im Anschluss gut verschlossen und sicher verwahrt wird. Und dann? Nach der Ruhe kommt der Sturm! in diesem Fall »Die Schlacht«. Von allen Gruppen in den vier Workshoptagen geliebt, denn es ist ein Spiel zum Austoben. In der Mitte der Aula werden hierfür verschiedene Sitzgelegenheiten vom Aufblassofa bis zum Blecheimer angehäuft. Auf ein Signal stürzen alle drauflos, um einen der Gegenstände für sich zu ergattern. Körperkontakt ist nicht erlaubt – das Klauen von anderen hingegen obligatorisch. Und wenn der »fröhliche Diebstahl« erst einmal offiziell genehmigt ist, gibt es kein Halten mehr. Die Gegenstände wandern flink von einer Person zur nächsten – werden einem gerade frisch ergattert direkt wieder vor der Nase weggeschnappt. Das gibt ein herrliches Durcheinander und mittendrin steht eine Gebärdensprachdolmetscherin, die versucht die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler zu erhaschen, die auf die Gebärdensprache angewiesen sind.

Der ganze Vormittag dreht sich spielerisch um die Themen Besitz und Diebstahl, wobei ein projizierter Schrift-Übertitel durch den Workshop führt: »Stationenwechsel in 5, 4, 3, 2, 1, Los!« heißt es da zum Beispiel.

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Bei einer Wahl wird entschieden, was Luxus, was Lebenserleichternd und was Lebensnotwendig ist. Die Schüler*innen entwerfen ihre eigenen Meisterdiebidentitäten, nennen sich »Klaurissa« oder »Mr. Afterday« oder skizzieren ihr »Traumland der Zukunft«, um es danach im Filmstudio zu erklären. In einem Fragespiel werden mit zunehmender Offenheit die eigenen »Diebesqualitäten« preisgegeben. Darüber nachgedacht, mal kurz zum Langfinger zu werden, hat schließlich schon jeder einmal … oder?!

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In den kleinen Pausen treten immer wieder die Materialien aus der »Schlacht« in den Vordergrund. Die Sitzsäcke werden in Beschlag genommen. Sitzt der erste, will schon der nächste drauf! Ja, den ganzen Tag über werden sich die Materialien hin und her geklaut – bzw. werden sie sich vielleicht einfach nur genommen oder sogar brüderlich und schwesterlich geteilt? Denn gäbe es in einer Welt, in der allen alles gehört, überhaupt noch Diebstahl? Und könnten wir uns vorstellen, in so einer Welt zu leben? Diesen Fragen wird Klub Kirschrot in den kommenden Monaten weiter nachgehen. Aus den Schnupperworkshops wird sich ein Expertenklub bilden, der intensiv weiter zum Thema forschen und spielen wird. Parallel entsteht im Werkraum das Stipendiumsprojekt der Stiftung Theater Freiburg: »Die Republik der Taschendiebe«, eine Inszenierung, die unsere gesellschaftlichen Konzepte von Besitz untersuchen und hinterfragen wird. Auf diesem Blog halten wir euch über all unsere Diebesaktivitäten weiter auf dem Laufenden!

Das Projekt »Alles nur geklaut« wird gefördert durch »Wege ins Theater!«, das Förderprogramm der ASSITEJ im Rahmen von »Kultur macht stark! Bündnisse für Bildung«.
In Kooperation mit dem Bildungs- und Beratungszentrum für Hörgeschädigte Stegen und dem Jugendbildungswerk Freiburg e.V.