Symbolische Befreiung: Bajram Schäfer bei der Probe für die Eröffnungsszene
Vor einigen Wochen hing am schwarzen Brett des Theaters ein Zettel: »HEIM & FLUCHT Orchester sucht alte Koffer«. Jetzt weiß ich auch warum. Das Projekt heißt »Nächste Ausfahrt: Heimat«, und man ist fleißig am Proben. Alte Koffer hat man genug.
Ein Wegweiser steht im Raum, eine Tänzerin nähert sich mit trippelnden Schritten, stutzt, verdreht den Pfeil, tänzelt weiter. Ein alter Mann trägt zitternd seinen Koffer heran, nimmt die Brille ab, versucht zu lesen, was dort steht. Aber auch erst ist unzufrieden mit der Richtung, schiebt den Pfeil weiter nach links. Immer mehr Charaktere passieren den Wegweiser: ein Bankräuber, eine Schwangere, ein Sportler. Alle mit Koffer in der Hand, alle unzufrieden über die vorgegebene Richtung.
Es geht um Heimat. Und um Sehnsucht. Um das Finden einer Heimat. Ums Ankommen. Und um die Frage: Was ist für euch eigentlich Heimat? Viel, was hinterher auf der Bühne zu sehen ist, kommt dabei von den Jugendlichen selbst. »Es ist kaum etwas vorgegeben gewesen«, erklärt die Regieassistentin Liv Steinbach. »Das Stück hat sich aus den Proben heraus entwickelt.« Viele Improvisationen haben dabei eine Rolle gespielt um sich dem Thema anzunähern. Was würde ich auf eine einsame Insel mitnehmen? Was habe ich Wertvolles in diesem Koffer?
Die Jugendlichen in »Nächste Ausfahrt: Heimat« sind ein bunter durchmischter Haufen an Nationalitäten, Hautfarben und Sprachen. Und natürlich auch ein bunter Haufen, wenn es um die eigene Heimat geht, die für einige weit weg, für andere sehr nah ist. Sie sind zwischen 17 und 30 Jahren alt, mussten teilweise aus ihrer Heimat fliehen. Andere sehnen sich nach einer Heimat, die sie hier nicht zu finden glauben. Jetzt proben sie alle zusammen mit alten Koffern und mit ihren Instrumenten, denn letztendlich soll das Stück sehr musikalisch werden und Musik und auch Tanz nutzen um die Gedanken und Gefühle zum Thema Heimat auszudrücken.
Die Regisseurin Thalia springt immer wieder auf, hat Ideen. »Lasst uns mal mit den Geräuschen arbeiten. Wir können die Koffer rhythmisch nutzen«, ruft sie den Jugendlichen zu, greift auch selber nach einem Koffer und probiert aus. Schnell wird improvisiert und eine Choreographie erarbeitet, alle machen mit. Auf den Koffer klopfen, ihn schieben, umwerfen, alle im Takt oder auch im Kanon.
Dann packen sie ihre Instrumente aus, fangen an zu spielen. Zuerst die Posaune, dann stimmen Trommeln und Geigen mit ein. Die von Ro Kuijpers und Pascal Beck geschriebene Musik geht ins Blut, man muss fast unwillkürlich mit dem Fuß mitwippen. Und plötzlich ist die Probe für heute auch schon vorbei, Thalia verabschiedet die Jugendlichen, aber ans nach Hause gehen denkt noch keiner. Die Geigen spielen noch weiter, die Ausstatter passen noch ein paar Kostüme an. Man sitzt zusammen, plaudert, musiziert, ganz entspannt.
Nächste Ausfahrt: Heimat
Eine musikalische Reise mit dem HEIM & FLUCHT Orchester
Komposition & Arrangement: Pascal Beck, Ro Kuijpers / Künstlerische Leitung & Regie: Thalia Schuster / Recherche: Margarethe Mehring-Fuchs / Bühne & Kostüme: Nina Hofmann
Mit: Muhammad Alisadah, Johanna Arndt, Haider Bakeshi, Mirijam Bischofsberger, Joaquin Prieto Brito, Fljurim Elfjani, Lisa Fiegel, Laura-Marijke Hecker, Malinde Hoppe, Mirsad Kecic, Elena Klorer, Noemi Kriener, Lisa Meixner, Khadi Niang, Marie Peschers, Bajram Schäfer, Baris Schmidt, Levi Martins da Silva, Julia Strack, Marijan Zivkovic
Premiere: So. 6.1.13, Großes Haus – Hinterbühne
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