ZWISCHEN RIESELFELD UND WEINGARTEN

von | 29.09.2016

Wer sind die Dietenbacher? Wie sieht ihr Festspiel aus? Ist es eine Marketingstrategie für ein neues Stadtviertel in Planung oder sind es die Bewohner von Weingarten und dem Rieselfeld, die selbst die Brachfläche durch ihre Heterogenität und ihre bunte Vielfalt prägen wollen?

Ich war am Samstag beim Weingartentag am EKZ und habe das bevorstehenden Projekt den Passanten präsentiert und mit ihnen gesprochen. Das große Festspiel wird erst Mitte Juli zugänglich sein, aber die Arbeit der Bewohner an ihrem eigenen Festspielgelände hat schon diesen Samstag begonnen. Hier ein paar Bilder dazu:

Wie gründen sich Gemeinschaften? Und können Kunst und Stadt eine Gemeinschaft bilden?

Bei dem Projekt »Die andere Seite – die ersten Dietenbach-Festspiele« begegnen sich zwei Freiburger Nachbarschaften, die keine Gemeinschaft sind: Weingarten und Rieselfeld. Initiatoren dieser Begegnung sind drei Künstler des Theater Freiburg, die sich den Dietenbachpark als aktive Begegnungsplattform ausgesucht haben, um ein Festival der Nachbarschaften zu lancieren. Kurzfristig gesehen sind die Festspiele ein Fest und ein Ort der Begegnung; städtisch und langfristig gesehen dienen die Festspiele der empirischen Untersuchung und Antizipierung des zukünftigen Stadtteils Dietenbach durch seine potentiellen Bewohner.

Die Kunst befragt die Stadt, statt sie zu inszenieren:

Der Choreograph Graham Smith, der Regisseur Daniel Wahl und die Musikerin Bernadette La Hengst sind alle drei Verfechter partizipatorischer Aufführungsmodelle und blicken auf zahlreiche Stücke zurück, in denen Menschengruppen aus diversen Kontexten mitwirkten. Sie verstehen »Die andere Seite« als eine dialogische und interkulturelle Forschung von Ökonomisierung, Gentrifizierung und Migrationspolitik, deren Ergebnisse durch die Mittel der Kunst im Öffentlichen Raum vorgestellt werden. Forschende sind dabei die Bewohner zweier Stadtteile, die Nachbarn eines zukünftigen Stadtteils in Freiburg sind und deren städtebauliche Konzeptionen sehr unterschiedliche Einwohnerstrukturen hervorgebracht haben, die durch große soziale und kulturelle Unterschiede geprägt sind.

Das Projekt gliedert sich in fünf Teile:

1.) Wissen schaffen

Anlässlich des in Freiburg stattfindenden dritten internationalen Bürgerbühnenfestivals lädt »Die andere Seite« die beteiligten Künstler sowie fünf Studierende des Studiengangs »Space and Design Strategies« aus Linz dazu ein, sich mit internationalen Akteuren kritisch über künstlerische Strategien von Partizipationsprojekten mit sogenannten Randgruppen auszutauschen.

2.) Die Künstler schwärmen in die Fremde der Nachbarschaft

Als Künstler-Flaneure erforschen Künstler und Studierende im Austausch mit vorhandenen Vereinen und Initiativen beide Stadtteile im Hinblick auf sozial-räumliche Ähnlichkeiten. Wo ereignen sich Gemeinschaften? Wo schreiben sie sich ins Stadtbild ein? Die Künstler nehmen Kontakt zu den Menschen vor Ort auf.

3.) Heterotopien schaffen

Biografien einer Stadt werden zum Exponat und imaginieren einen zukünftigen Stadtteil: Transport-Container werden zur freien Gestaltung an den in Phase 2 ermittelten Orten aufgestellt. Während eines Zeitraums von zwei Wochen haben die Menschen vor Ort und im Austausch mit den Künstlern und Studierenden die Möglichkeit, ihre Container vor dem Hintergrund der Fragen zu gestalten: Welcher Raum fehlt in meinem Lebensraum? Welcher Ort darf in meiner Stadt auf gar keinen Fall fehlen? Wie soll dieser Ort aussehen?

Auch die Künstler gestalten einen Container als ihren Beitrag zur Stadtteilvision.

4.) Die Karawane der Heterotopien

Anfang Juli erfolgt der choreographisch inszenierte Umzug aller Container auf das Dietenbach-Gelände. Aus allen Winkeln der benachbarten Stadtteile kommen die Bewohner in einzelnen Karawanen an ihrem neuen Platz zusammen. Der Einzug mündet in einem Nachbarschaftsfest: Die neuen Nachbarn lernen sich kennen und bieten sich und der Öffentlichkeit Führungen durch die gestalteten Container an. Die Sinti-Musikgruppe Weingartens lädt zum Konzert, die Rieselfelder Stadtteilzeitung veranstaltet eine Lesung, die Fußballvereine beider Stadtteile zeigen eine kostümierte Fußball-Choreographie, das Bürgerforum und die Bürgervereine beider Stadtteile laden zur Diskussion über eine neuen Stadtteilvision.

5.) Die Kunst macht der Realität Platz

Den Schlusspunkt des Projektes bildet ein gemeinsames Abschlussfest. Auch dieses beginnt mit einer inszenierten Parade, diesmal jedoch gemeinsam mit allen am Projekt Beteiligten, ohne Container und in die Stadt. In einer feierlichen Abschlussinszenierung bringen die Initiatoren des Projektes politische Akteure der Stadt, die Beteiligten aus beiden Stadtteilen und Besucher auf der Großen Bühne des Theaters zusammen: Die Schlüssel zu den Containern werdem dem Bürgermeisteramt überreicht. Durch die Übergabe der geschaffenen Heterotopien schafft »Die andere Seite« einen realen Anlass, mit politischen Akteuren der Stadt in Austausch zu treten. Doch in welche Realität werden sich die Heterotopien am Dietenbachpark überführen? Welchen Wunsch artikulieren ihre Bewohner? Welche Verantwortung übernimmt die Stadt?

Mit diesen Fragen überlassen die Künstler das Projekt Freiburg und seinen Bewohnern. Auf diese Weise bietet »Die andere Seite« mit den Mitteln der Kunst nicht nur Menschen unterschiedlicher sozialer und kultureller Backgrounds eine Plattform zur Selbst-Artikulation und zum Austausch, sondern nutzt die Öffentlichkeit des Theaters auch als Instrument zus Selbstermächtigung.