¡SPOILERFREI!

von | 09.04.2019

In der sog. Jahresdispo sind alle Proben, Premieren und Vorstellungen des Jungen Theaters von September 2019 bis Juli 2020 vermerkt. Die noch geheimen Produktionen wurden im Bild verschleiert.

In einem Monat werden wir die Broschüre mit allen Plänen des Jungen Theaters in der Spielzeit 2019/2020 von A bis Z veröffentlichen. Heute möchten wir euch einen Einblick in unsere Planungsaktivitäten geben: Wie entsteht so ein Spielplan eigentlich? Wie kommen wir zu den Themen, die wir auf der Bühne verhandeln? Wie zu den Künstler_innen, die mit uns arbeiten? Und was ist eine Jahresdispo?
Da all unsere Vorhaben für das kommende Theaterjahr derzeit noch als „top secret“ eingestuft sind, werde ich im folgenden Bericht noch keine Stücktitel verraten und den Text mit Beispielen aus der noch laufenden Saison illustrieren. Er ist also garantiert spoilerfrei!

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel

Alles beginnt mit der Vorstellung des Spielplans im Mai eines jeden Jahres. Denn bei der Gestaltung eines Theaterjahres verhält es sich ganz ähnlich wie beim Fußball: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Kaum sind unsere Pläne für die nächsten 12 Monate veröffentlicht, beginnen bereits die ersten Vorüberlegungen zur übernächsten Spielzeit. Das liegt u. a. daran, dass Künstler_innen, mit denen wir etwas auf die Beine stellen wollen, bisweilen lange im Voraus ausgebucht sind. Insbesondere im Musiktheater sind die Vorläufe manchmal gewaltig. Hier muss man unter Umständen drei, vier Jahre im Voraus planen, z. B. wenn man einen Kompositionsauftrag für ein neues Werk vergeben möchte.

Symbolbild „Spielplanrecherche“: Bücher anhäufen und Zeitschriften wälzen, aber auch Filme sichten, Videospiele herunterladen, in Hörspiele reinhören usw. usf.

Mein Team und ich sitzen zu diesem Zeitpunkt lange zusammen und überlegen, welche Themen und Stoffe wir aufgreifen, welche Linien des bisherigen Spielplans wir weiter verfolgen, für welche Altersgruppen wir welche Projekte und Stücke anbieten und mit welchen Künstler_innen wir zusammenarbeiten wollen.
Die Wege, wie man zu Produktionen kommt, sind vielfältig: Manchmal interessieren wir uns für ein bestimmtes Buch oder einen virulenten Sachverhalt und denken darüber nach, wie und in welchen Konstellationen man dieses oder jenes auf die Bühne bringen könnte. Bei anderen Projekten haben wir beispielsweise auf Sichtungsreisen etwas Interessantes gesehen und nehmen Kontakt mit den betreffenden Regisseur_innen, Kollektiven oder, wie im Falle des jährlich stattfindenden LIRUM LARUM LESEFESTES, Autor_innen auf.

Geistesblitze im Eiscafé

Manche Stückideen haben eine lange Genese, andere entstehen aus dem Moment heraus, wie in der aktuellen Spielzeit DAS LEBEN DES ANDEREN belegt: In diesem Fall saß ich im Februar 2018 mit dem Freiburger Lehrer Christian Heigel in einem theaternahen Eiscafé bei Espresso nebst Spaghettieis und sprach mit ihm über unsere Education-Angebote. Im Gespräch entwickelte ich aus einem spontanen Impuls heraus die Idee, ihn für einen Tag an seiner Schule zu begleiten, um einmal direkt vor Ort zu erfahren, wie Schule heute tickt. Also fragte ich kurzerhand, ob das möglich sei. Christian meinte daraufhin: „Klar. Aber dann möchte ich auch einen Tag am Theater hospitieren!“
Es dauerte noch ein paar Minuten, dann war die Grundidee zu unserem Queraussteiger-Stück geboren – ein Lehrer als Leiter des Jungen Theaters, ein Künstler als Lehrer auf Zeit. (Übrigens: Im Laufe der Jahre sind nicht wenige Projektideen im besagten Eiscafé entstanden …)

Februar 2018: Ich wähle die Nummer von Regisseur Benedikt Grubel (nachgestellte Szene).

Im nächsten Schritt rief ich den Regisseur Benedikt Grubel an. Er hat mehrere Jahre mit mir gemeinsam die Spielstätte Werkraum geleitet und schien mir genau die richtige Person für dieses biografisch-dokumentarische Vorhaben zu sein. Als ich ihm von der Idee berichtete, biss er glücklicherweise auf der Stelle an.

Wortspielmodus: aktiviert! 

Anschließend verlässt man in Gesprächen wie diesen erst einmal den Bereich der Kunst und widmet sich ganz pragmatischen und mitunter profanen Dingen: Probendispo, mögliche Premierentermine, die Gagenhöhe, Reisekostenerstattung usw.
Im besten Fall passt alles, im schlechtesten kommt man zeitlich oder finanziell nicht zueinander. In unserem Beispiel fügte sich alles: Benedikt sagte zu, wir vereinbarten drei Probenblöcke, programmierten eine Premiere im Mai 2019, und ich vermerkte alles in der Jahresdispo 2019/2020, die nach und nach wie ein Puzzle zu einem fertigen Spielplan zusammengefügt wird. Was wir zu diesem Zeitpunkt indes noch nicht hatten, waren Titel und Untertitel für unser Jobtausch-Projekt.

Bewegt euch! Reisen ist angesagt, wenn man eine Spielzeit plant. Hier: Das Team des LIRUM LARUM LESEFESTS (Güde / Kaiser / Willersinn) auf Autor_innen-Suche @ Buchmesse Leipzig im März 2019. 

Klar, wenn man ein Stück wie DIE KLEINE MEERJUNGFRAU ansetzt, ist die Frage nach dem Titel nicht relevant: Das Ding heißt schlichtweg so, wie Andersen es genannt hat. Anders sieht es bei unseren partizipativen Projekten mit nicht-professionellen Darsteller_innen und bei Stückentwicklungen aus. Hier gibt es in der Regel kein fertiges Skript mit Titel, weshalb oft seitenlange Listen mit Vorschlägen entstehen (müssen). Und auch hier gilt: Manchmal ist es sofort stimmig, nicht selten jedoch sind Titel kurz vor Drucklegung der Spielzeitmedien noch immer nicht fixiert.

Bitte nicht stören: Für eine Produktion im Sommer 2020 konferiert Graham Smith vom Jungen Tanz derzeit konspirativ mit Übersee …

Für DAS LEBEN DES ANDEREN standen folgende Vorschläge im Raum – manche ernster gemeint als andere: Queraussteiger (das wurde später unser Untertitel) / Austauschschüler / Vertretungsstunde / Kleine Pause / Freistunde / Everybody‘s got to learn sometime / Zwei Nasen tauschen super (ja, okay, im Nachhinein sehe ich ein, dass dies nicht unbedingt der Knaller war …) / Pausendienst – Dienstpause / Referendariat des Lebens / Studienrat Probenstart / MeNuK-Pause (Name eines Schulfachs, „MeNuK“ steht für „Mensch, Natur und Kultur“ – aus der Distanz auch eher zweifelhaft) / Zweiter Bildungsweg / Schulmärchenreport / Schuster bleib bei deinen Leisten / Klassearbeit – klasse Arbeit

Die größten Brocken stehen

Meistens stehen dann irgendwann im Februar die größten Brocken des neuen Spielplans. Zu diesem Zeitpunkt treffe ich mich mit unserem Illustrator Michael Genter, stelle ihm die Produktionen vor und skizziere mit ihm erste Ideen, wie seine Zeichnungen für unser kommendes Spielzeitheft aussehen könnten. In den folgenden Wochen schickt Michael mir Entwürfe, ich bespreche sie mit den künstlerischen Leitungsteams der einzelnen Produktionen und gebe ihm Feedback resp. Änderungswünsche. Nach und nach entsteht so die Bildwelt des Jungen Theaters. Parallel dazu terminiere ich mit der Kassenchefin und dem Künstlerischen Betriebsbüro (im Theatersprech kurz: KBB) die Vorstellungen für die Familien-Abos. Außerdem verfassen mein Team und ich Ankündigungstexte, die wir an unsere Grafikagentur schicken. 

Noch geheim: das Titelmotiv unserer neuen Spielzeitbroschüre 2019/2020 von Illustrator Michael Genter im Screenshot 

Mitte April heißt es dann: loslassen. Die Spielzeitbroschüre hat mehrere Korrekturrunden durchlaufen, sie sollte somit fehlerfrei sein (Wetten dazu nehme ich gerne in meinem Büro an) und wird druckfrei gegeben. Änderungen sind nun nicht mehr möglich. Die laufende Spielzeit befindet sich zu diesem Zeitpunkt noch in vollem Gange, das Repertoire wird gespielt, die Produktionen des letzten Drittels der aktuellen Saison werden geprobt, die Spielplan-Pressekonferenz im Mai wird vorbereitet und die Vorarbeiten für die ersten Premieren nach der Sommerpause beginnen. Wenn ein Stück beispielsweise im Oktober zur Aufführung kommen soll, ist es nicht ungewöhnlich, bereits im April dafür tätig zu werden. 

Der frühe Vogel: Für die erste Premiere der Spielzeit 2019/2020 XY arbeitet der Regisseur YZ bereits mit mir an der Textfassung. Mehr wird hierzu natürlich (noch) nicht enthüllt.

Zum Abschluss dieses Einblicks noch ein kleiner Ausblick (man erkennt, dass ich noch im Wortspielmodus der Titelfindungsphase bin): Im kommenden Theaterjahr werden wir uns, so viel sei heute verraten, u. a. mit einem wichtigen Ereignis unserer Geschichte beschäftigen, wir stellen die Frage, wie offen unsere Gesellschaft ist, wir werden die Spur einer berühmten Figur der Literaturgeschichte aufnehmen, wir planen, Osteuropa zu bereisen, werden uns aufgrund realer und / oder fantastischer Ereignisse gruseln und den Zustand unseres Planeten kritisch unter die Lupe nehmen …
Wer, was, wann und wo – verraten wir im Mai 2019 an dieser Stelle und in Form unseres Spielzeitheftes, das dann an der Theaterkasse und in den Foyers zu bekommen ist. 

06.04.2019 – noch 32 Tage bis zur Herausgabe des Spielplans 2019/2020: Während ich am Bühneneingang auf die Gastspiel-Gruppe M O N S T R A warte, nutze ich ein dort neu aufgestelltes Pult, um diesen Text zu Ende zu tippen. 

Text und Fotos: Michael Kaiser, Leiter des Jungen Theaters