LEID UND LEIDENSCHAFT (1/3)

von | 24.05.2025

Nach achtzehn Jahren Stadt-, Schul-, Mehrgenerationen- und spartenübergreifenden Projekten ist das Tanzstück PASSION (Premiere: Fr, 30.05.2025) meine letzte Produktion am Theater Freiburg, bevor ich Freiburg im Sommer 2025 verlasse. Als Abschiedsprojekt gehen Maria Pires und ich gemeinsam mit den 210 Mitgliedern der SCHOOL OF LIFE AND DANCE (SoLD) ganz großen Emotionen nach, um einen Moment unserer Gegenwart festzuhalten. Yael Cremonesi, Mitglied bei SoLD seit 2013, berichtet auf diesem Blog über unsere letzte große Produktion, über Leid, Leidenschaft und den Abschied.

 
Mein Name ist Yael Cremonesi, ich mache momentan ein Regiepraktikum bei Graham und wurde von ihm gebeten, für sein letztes Stück meine Gedanken hier etwas zu verwörtlichen und damit den Prozess von PASSION irgendwie mit zu dokumentieren. Auf der Website des Theaters wird PASSION als ein ‚kathartisch-choreografischer Theaterabend‘ mit ‚extremen Gefühlen jenseits von Vernunft‘ beschrieben. Extreme Gefühle kommen bei mir ehrlich gesagt schon seit Anfang dieser Spielzeit immer wieder hoch.
Hier, schon bei den ersten Sätzen, merke ich, dass es mir gar nicht so leichtfällt, etwas auf Papier zu bringen, denn wie verpacke und strukturiere ich meine Gedanken zu SoLD und PASSION in einen simplen Blog-Eintrag, wenn sie so aufgeladen sind mit Emotionen, die sich über Jahre hinweg entwickelt und aufgebaut haben?

Ich bin 20 Jahre alt und seit 2013 Teil der SoLD-Gruppe. Das sind 12 Jahre, in denen ich wöchentlich ins Training gekommen bin und über Tanz, Körper, Identität und Kunst nachdenken durfte. Das ist also mehr als die Hälfte meines Lebens, die ich mit Graham, Maria und meinen liebsten SoLD’nern verbracht habe. Letztes Jahr, 2024, habe ich mein Abitur geschrieben, erfolgreich bestanden und musste mich dann von meiner Schule verabschieden, die mir sehr, sehr am Herzen liegt. Obwohl alles, was darauf folgte – alle Praktika, bei Graham oder nicht bei Graham – eine Bereicherung waren, und ich Dinge lerne, die für meine Zukunft Gold wert sind, liegt mir dieser Abschied noch tief in den Knochen und wird mich wahrscheinlich noch jahrelang begleiten. Warum erzähle ich das? Weil der Abschied von SoLD mindestens genauso hart sein wird. Weil ich das Gefühl habe, dass diese Abschiede nicht nur meine Realität ändern, sondern auch mein Sein. Dementsprechend denke ich gerade viel darüber nach, was PASSION mit mir machen wird und wer ich danach sein werde. Das alles macht den Probenprozess sehr emotional.

 

Das erste Stück mit SoLD auf der großen Bühne war 2014 für mich DER NUSSKNACKER. Da war ich ein 9-jähriges Kind, das nicht viel darüber nachgedacht hat, was es bedeutet, auf der Bühne zu stehen. Ich habe einfach nur gespürt, dass mich das glücklich macht, denn hier kann ich Sachen erzählen, ein Ich zeigen, das sonst keinen Platz findet. Dieses Gefühl hat sich dann in eine Liebe für das Theater und die Kunst, die Graham und Maria ausführen, entwickelt. Die Menge an (Berufs-)Erfahrung, an Wissen und Lektionen, die sie uns mitgegeben haben und noch immer tun, ist ein Geschenk, wofür wir uns nie revanchieren können. Es ist ein Privileg, von zwei professionellen Tänzern / Choreografen unterrichtet zu werden, ein Bewusstsein für den eigenen Körper zu bekommen, zu lernen, seinen Tanzpartnern zu vertrauen und sich in Gruppen zu bewegen. Es ist ein Privileg, einen Raum zu bekommen, sich ohne Worte ausdrücken zu dürfen. Es ist ein Privileg, Menschen kennenzulernen, bei denen du dich sicher fühlen kannst. Darüber hinaus haben mich Graham und Maria immer inspiriert und unterstützt, selbst Kunst auszuüben. Und heute, als erwachsene Frau, nehme ich die ersten Schritte in diese Berufung. Alles, was noch kommen wird, ist möglich, weil zwei liebe, talentierte Visionäre vor Jahren einen kleinen Samen gelegt haben, der jetzt von Jahr zu Jahr dank ihnen wächst und noch weiter wachsen wird. Danke!

 

Während wir als Darsteller*innen in PASSION mit den Themen der Welt wie die Klimakrise, KI, Kriege dem Publikum lauter Abschiede von Gewohntem, von der Vergangenheit widerspiegeln und die Gratlinie zwischen Leben und Tod bespielt wird, sind wir gleichzeitig auch mit dem Abschied von uns, zwischen uns, am Kämpfen. Die Linie zwischen dem Gespielten und dem Gefühlten ist feiner denn je. Die Szenen sind nie krass explizit, nie wortwörtlich, sie lösen jedoch ein umso tragischeres Kopfkino aus. Das Resultat: Zuschauende werden weinen. Und wir? Wir weinen mit. Aber mich berührt es eher, die jungen Sprossen und Setzlinge zu sehen, die mit solch einer Freude und unschuldigen Energie präsent sind. Ich muss weinen, weil ich mich selbst erkenne, aber weiß, dass diese wunderbaren jungen Menschen nicht mit SoLD aufwachsen werden, wie ich das konnte. Und ich denke, dass das schlussendlich die Essenz ist, von dem, was PASSION für mich bedeutet: Aufwachsen, erwachsen werden, loslassen können und Veränderungen wahrnehmen. Aber auch ein wenig um eine Generation trauern, die nicht die gleichen Freuden auf gleiche Weise erleben wird, wie ich sie durfte. Und somit vermischen sich die Grenzen zwischen thematischem und persönlichem Inhalt ganz schnell.

Ich empfinde eine tiefe Dankbarkeit, wofür mir oft die Worte fehlen, um sie gerecht zu beschreiben. Dieser und die folgenden Blogeinträge werden es nur anschneiden können. Ich bin einfach nur froh, so viele tolle Leute zu kennen und mit ihnen Zeit auf und hinter der Bühne verbringen zu dürfen. Wie bedankt man sich denn für so eine Zeit? 

Text: Yael Cremonesi
Probenfotos: Britt Schilling