Ich lernte Finn-Ole Heinrich und Spaceman Spiff 2010 kennen. Damals hatte mir der feine Indie-Verlag Mairisch eine Performance des Duos als Gastspiel für den Werkraum angeboten. Unter dem Titel »Du drehst den Kopf, ich dreh den Kopf« las Finn seine Texte und Spaceman Spiff, der gebürtig aus Würzburg kommt und in einem anderen Leben Hannes Wittmer heißt, machte Musik. Manchmal taten die beiden das Jeweilige auch zur gleichen Zeit.
Vier Jahre später trafen wir uns erneut im Werkraum, um dort Finns Buch »Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt« in Form eines szenisch-musikalischen Lese-Spektakels auf die Bühne zu bringen. Zu Beginn unserer Endprobenwoche standen wir am Tag der technischen Einrichtung nur im Weg herum, weshalb ich Hannes eine sportliche Challenge vorschlug: Beim dramatischen Kleingolf-Match »Maulina«-Musiker vs. Künstlerischer Leiter Junges Theater blieb zwischen den Abschlägen trotz der körperlichen und geistigen Extremleistung noch genügend Raum für ein Interview (fotografisch dokumentiert von Kathrin Feldhaus).
(Bahn 1: Hannes 2, Michael 3 Schläge)
Michael: Wenn ich deine Alben höre, singt da ein junger Mann Ende zwanzig Lieder, deren Fundament oft die Wehmut ist. Auf den Proben habe ich einen ganz anderen Hannes kennengelernt – einen, der eigentlich nie wehmütig scheint und unheimlich viel positive Energie in den Prozess einbringt. Erleben die Zuschauer bei unserem »Maulina«-Abend einen bisher unbekannten Spaceman Spiff?
Hannes: Leute, die nur die Musik kennen, auf jeden Fall. Für Leute, die mich schon live gesehen haben, ist das wahrscheinlich gar nicht so abwegig, da ich mit meiner Band auch immer ziemlich viel Quatsch auf der Bühne mache. Es ist mir wichtig, dass ich mich da nicht hinstelle, ein todtrauriges Lied spiele, zwischendurch betroffen guck und dann das nächste todtraurige Lied spiele. Ich möchte mich nicht abgrenzen vom Publikum und den in sich gekehrten Denker geben, sondern eine Nähe aufbauen, indem ich einfach so bin, wie ich bin. Und ich bin halt dieser normale Typ, der sich wie andere normalen Typen auch Gedanken macht. Nur dass ich die eben in meinen Liedern verwurste.
Aus »Melancholie und ich« (vom Album »Bodenangst«):
und zwischen all den menschenhäusern
brennt noch immer licht
melancholie und ich
mal wieder hand in hand
richtung unbekannt …
Michael: Wo versteckt sich dann der wehmütige Singer/Songwriter-Typ?
Hannes: Der steckt auch in mir, ab und an, aber nicht rund um die Uhr. Ich glaube, dass ich im Grunde gerade nicht dieser wehmütige Mensch bin, weil ich ein Ventil habe. Über meine Texte kann ich die Wehmut nach außen treiben und muss nichts in mich hineinfressen.
Michael: Nervt das eigentlich, wenn man immer so gelabelt wird, nach dem Motto »Endzwanziger singt traurige Lieder«?
Hannes: Erst nervt es, aber dann gewöhnt man sich dran. Ich label ja genauso, wenn ich selbst neue Musik höre. Du suchst wahrscheinlich zuerst immer das Bekannte im Fremden und bewertest das Neue im Stil von »klingt wie eine Mischung aus … und …«.
Michael: Ich habe bei deinen Songs oft das Gefühl, dass du in ihnen diesen flirrenden Moment einfängst, kurz bevor man wichtige Entscheidungen trifft. Diese Sekunde, in der die Zeit stillsteht und einem tausend Sachen durch den Kopf gehen.
Hannes: Auf der neuen Platte gibt es sogar einen Song, in dem es explizit um dieses Thema geht. Der heißt »Bevor der Konjunktiv gewinnt« und beschreibt den Punkt, kurz vor der Entscheidung, wenn es noch in die eine oder andere Richtung umkippen könnte.
Aus »Bevor der Konjunktiv gewinnt« (vom Album »Endlich nichts«):
es fehlen nur noch ein paar runden
bevor der konjunktiv gewinnt
nur noch ein paar sekunden
und heut wär wieder nur ein
tag wie jeder andere
Michael: Als Teenager war mein Traumjob so etwas wie »Rockstar« zu werden. Lebst du jetzt meinen Jugend-Traum?
Hannes: Es ist ein phantastischer Job – wahnsinnig aufregend und ein totales Geschenk. Großartig finde ich zum Beispiel, wenn mir Menschen E-Mails schreiben und sich dafür bedanken, dass man ihnen durch eine schlechte Phase geholfen habe. Aber das Bild dieses Berufs ist natürlich auch verklärt und es gibt Seiten an dem Job, die nicht so cool sind. Du musst zum Beispiel unendlich viel Papierkram erledigen und als Selbständiger hast du oft das Gefühl, dass du eigentlich gerade noch ein bisschen mehr machen müsstest. Und dann gibt es da noch die klassischen Künstlerprobleme. Wie: Oh Gott, jetzt habe ich gerade meine letzte Platte veröffentlicht und das war alles, mehr ist nicht in mir drin. Mehr wird mir nie wieder einfallen.
(Bahn 9: Hannes 24, Michael 37 Schläge)
Michael: Der aktuelle Spielstand zeigt, dass du mal Sport studiert hast …
Hannes: Ja, zwei Semester. Merkt man, ne? Bevor ich studiert und abgebrochen habe, wollte ich ja von der Musik leben, im Grunde hatte ich da den gleichen Rockstar-Traum wie du. Ich habe dann aber schnell gemerkt, dass es die Musik nicht besser macht, wenn du es zu hart versuchst. Eigentlich hatte ich den Traum dann auch schon aufgegeben. Ich habe Konzerte veranstaltet und in Clubs gearbeitet, und weil es in Hamburg tausend Booking-Agenturen, Clubs und Labels gibt, bin ich dorthin gezogen. Ich stellte mir ständig die Frage: Was willst du aus deiner Zukunft machen? Aus dieser Ungewissheit sind Texte und Songs entstanden, die sich zu meinem ersten Album »Bodenangst« verdichteten. Als das dann sehr gut ankam, habe ich einfach weitergemacht. Das Ganze ist stetig gewachsen, und irgendwann konnte ich davon meine Miete bezahlen. Als ich mir dann ab und an den guten Bio-Joghurt im Supermarkt leisten konnte, war der Punkt erreicht, an dem ich dachte: Okay, jetzt lebst du von deiner Musik.
Michael: Aber für das Theater hast du bisher noch nie gearbeitet, oder?
Hannes: Nein, das ist das erste Mal und es ist auch sehr aufregend. Ich habe ja für »Maulina« nicht nur die Musik geschrieben, sondern bin als Live-Musiker und Finns Konterpart komplett szenisch in das Stück involviert. Neu für mich ist im Theater, dass mit Bene als Regisseur, dir als Dramaturg und Nina als Ausstatterin so viele Leute in den künstlerischen Prozess involviert sind – und dass jetzt, unmittelbar vor der Premiere, immer noch Dinge ausprobiert, verworfen und neu konzipiert werden.
Michael: Wie kam es eigentlich zu deinem Künstlernamen?
Hannes: Der Name stammt aus den fantastischen »Calvin und Hobbes«-Comics, von denen ich großer Fan bin. Darin geht es um den sechsjährigen Calvin und seinen Plüsch-Tiger Hobbes, der immer zum Leben erwacht, wenn keine anderen Menschen in der Nähe sind. Die beiden machen dann irgendwelchen Quatsch oder führen krass-philosophische und gesellschaftskritische Diskussionen, die minimalistisch auf drei Bilder heruntergebrochen sind. In manchen Episoden stellt sich Calvin vor, dass er ein Raumfahrer sei, der sich »Spaceman Spiff« nennt. Wenn er im Klassenzimmer sitzt, verwandelt sich sein Pult plötzlich in ein UFO und seine Lehrerin mutiert zum Alien. Und das war für mich ein stimmiges Bild: Calvin legt über die echte Welt seinen ganz eigenen Filter und überschreibt sie so mit seiner Phantasie. Wenn ich Lieder schreibe, mache ich letztlich nichts anderes.
Aus »Egal« (vom Album »Bodenangst«):
ich weiß
dass ich immer die wahl hab
zwischen kant und peter pan
zwischen altbau und nimmerland
zwischen nüchternheit und wahn
Michael: Ist ein Künstlername auch ein Schutz?
Hannes: Auf jeden Fall. Ich hatte mir das nicht bewusst überlegt und deshalb einen gewählt. Am Anfang hatte ich aber schon Probleme damit, dass Arbeit und Privates miteinander verschmelzen, wenn du zum Beispiel auf der Bühne persönliche Sachen besingst. Ein Künstlername hilft dabei, eine Grenze zu ziehen und das als zwei verschiedene Sachen zu behandeln.
Michael: Nennt dich deine Mutter Hannes oder »Spaceman«?
Hannes: Es gibt Leute, die mich nur über die Musik kennen und die wissen dann vielleicht tatsächlich nicht, wie ich wirklich heiße. Da bin ich eben »der Spaceman«. Aber Freunde und Familie nennen mich immer Hannes.
Michael: Wie haben Finn und du euch eigentlich kennengelernt?
Hannes: Wir waren beide im Literaturhaus in Kiel eingeladen. Die veranstalten dort ein Format, bei dem zwei Autoren lesen und jeweils ein Musiker spielt. Finn war einer der Autoren und ich eben der Musiker. Nach der Veranstaltung wurde aufgelegt, aber es waren nur noch fünf, sechs Leute vor Ort. Wie es dazu kam, weiß ich nicht mehr ganz genau, aber Finn und ich haben getanzt wie die Wilden. Wir haben uns auf Anhieb prima verstanden und sind zu jedem Trash-Song abgegangen wie die Blöden. Am Ende habe ich dann vor lauter Dance-Move-Präsentation meinen Zug verpasst.
Michael: Wer schon mal mit euch beiden feiern war, kann sich das ziemlich gut vorstellen …
Hannes: Ich habe dann bei Finn und seinem Verleger auf einer geklauten Matratze im Hotelzimmer geschlafen. Am nächsten Morgen hat Finn ein Lachsbrötchen für mich vom Frühstücksbuffet geklaubt und dann war es irgendwie um uns geschehen.
Michael: Und ihr habt das gemeinsame Album »Du drehst den Kopf …« aufgenommen.
Hannes: Ja, aber die Zusammenarbeit kam vor allem deshalb zustande, weil wir uns menschlich so gut verstanden haben. Finn hatte im Literaturhaus Kiel noch nicht mal einen Song von mir gehört: Als ich gespielt hatte, war er nämlich gerade draußen, um ein Interview zu geben. Dass es dann auch auf der Kunstebene so gut funktioniert hat, war umso schöner.
Michael: Was entsteht zuerst – Musik oder Text?
Hannes: Das ist bei mir sehr unterschiedlich. Bei »Endlich nichts« war das eher wie ein Puzzle. Es ist ein Konzeptalbum zum Thema »Sehnsucht nach Entschleunigung« geworden, das zu einem Teil entstanden ist, während ich in Neuseeland unterwegs war. Viele Texte sind fragmentarisch gewachsen, da ich mir auf meiner Reise Sätze notiert und irgendwann mit anderen Worten oder einem Gitarrenriff kombiniert habe. Das waren dann eben Teile eines großen Ganzen, die sich nach und nach zu einem Gesamtbild verbunden haben.
Michael: Am 28. April spielst du ein Konzert im Wheit Rabbit. Welche drei Spaceman Spiff-Lieder sollten sich Unentschlossene anhören, falls ihnen deine Musik so gar nichts sagt?
Hannes: Alter! »Welches deiner drei Kinder findest du am besten?« Kann ich da drüber nachdenken, während du spielst?
Michael: Klar.
(Bahn 16: Hannes 51, Michael 63 Schläge)
Hannes: Ich glaube, es macht Sinn, sich von jeder Platte einen Song anzuhören. Von der ersten CD »Egal«, den ich nach Jahren immer noch gerne spiele und der gut zeigt, warum ich mit dem ganzen Kram überhaupt angefangen habe. Vom zweiten Album »Mit Scherenhänden« …
Michael: …aus dem auch dieses wunderbare Zitat mit der Axt stammt!
Hannes: Du meinst »Jetzt steh ich hier wie die Axt im Wald und wollt doch eigentlich ein Baum sein«?
Michael: Genau. Und welches Lied sollte man sich auf »Endlich nichts« anhören?
Hannes: Vielleicht »Vorwärts ist keine Richtung«. Ich denke, damit bekommt man einen ganz guten Eindruck von der Entwicklung und »Vorwärts ist keine Richtung« ist auch eine ganz gute Überschrift für das ganze Album.
Endstand nach 18 Bahnen: Hannes gewinnt (ultraknapp!) mit 61 zu 70 Schlägen.
»Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt« ist im April noch fünfmal im Werkraum zu sehen. Am 30.4. zeigen wir das Lese-Spektakel außerdem in einer brisanten Latenight-Version für Erwachsene. Die Kritik der BZ kann man hier lesen und im September kann man dem Stück auf Gastspiel ins Berliner Theater an der Parkaue nachreisen. Und am 28.4.14 gibt Spaceman Spiff zusammen mit Godot (Freiburg) das oben erwähnte Konzert im Wheit Rabbit.
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