„Mein Name ist Yael Cremonesi, ich bin Mitglied bei SoLD, habe zuletzt ein Regiepraktikum bei Graham Smith gemacht und wurde von ihm gebeten, für sein letztes Stück meine Gedanken zu verwörtlichen und damit den Prozess von PASSION irgendwie mit zu dokumentieren.
Die Premierenwoche beginnt. Drei lange und anstrengende Bühnenproben liegen hinter uns – und drei ebenso intensive stehen uns noch bevor: die Hauptproben und die Generalprobe. Egal, wie oft wir diesen Prozess über die Jahre schon durchlaufen haben – der Moment, in dem Licht, Kostüm, Bühne und Inhalt zusammenkommen, bleibt magisch. Die erste Woche auf der Bühne war voller Aufregung und Spannung. Viele in der Gruppe sind in diesem Jahr neu dazugekommen und haben das Große Haus noch nie von der Bühne aus erlebt. Aber auch für uns ‚alten Hasen‘ ist es jedes Mal aufs Neue eine Freude, endlich zurück zu sein. Es bleibt herausfordernd – ganz egal, wie lange man schon dabei ist.
In PASSION dreht sich die Drehbühne konstant – das bedeutet, dass Orientierung plötzlich eine ganz neue Rolle spielt. Man setzt alle Auf- und Abgänge, Choreos und Wege im Raum, aber spätestens wenn das Licht dazukommt und Stellen heller oder dunkler werden, beginnt das Spiel von vorne. Wo ist vorne überhaupt? 🙂
In der zweiten Woche spüre ich, dass wir alle etwas müder sind. Es fließen mehr Tränen als sonst, und immer wieder verletzt sich jemand. Ich merke auch bei mir: Neben dem Energieaufwand, den das Stück allein schon fordert, raubt mir vor allem der näher rückende Abschied die meiste Kraft. Vor jedem Durchlauf erinnere ich mich daran, alles zu genießen – meine Freund*innen und Tanzkolleg*innen neben mir zu spüren – und gemeinsam dieses Ding auf die Bühne zu bringen. Und es ist wirklich verrückt, wie sehr ich mich jedes einzelne Mal mit der Gruppe verbunden fühle. Man könnte denken, dass man nach fünf Mal irgendwie ‚reinkommt‘ und es ein bisschen auf Autopilot läuft. Bei mir ist das nie so. Jedes Mal ist es anders, jedes Mal berührt es mich neu. Einige Szenen rühren mich seit Beginn – zum Beispiel ‚Evocation‘, wenn Emilia und Paul ihr Ding durchziehen. Ich balle jedes Mal meine Fäuste ganz fest, damit ich nicht mitten in der Szene in Tränen ausbreche. Ich verrate nichts – das müsst ihr euch schon selbst anschauen … 😉
Und dann gibt es Momente, die mich immer wieder überraschen – wie bei ‚Dancing with the Freaks’. In der Szene darf ich Dominique’s Lied zusammen mit einem SoLD-Chor singen und werde von Emma ganz wunderbar am Klavier begleitet. Es ist nicht das erste Mal, dass ich in einem Stück von Graham singen darf, und auch nicht das erste Mal im Großen Haus. Trotzdem bleibt es aufregend – und diesmal ist es sogar nervenaufreibend (no spoilers here). Ich habe großen Respekt davor. Während ich singe, denke ich ehrlich gesagt gerne an nichts – oder an so wenig wie möglich. Während mein Kopf sich darauf konzentriert, alles richtig zu machen, vertraue ich darauf, dass mein Körper ehrlich und angemessen auf die Musik reagiert. Als sehr emotionales Wesen passiert das eh von selbst – ich bin überzeugt, dass man mich eigentlich wie ein offenes Buch lesen kann. Deshalb versuche ich zu Beginn so rational wie möglich zu bleiben, damit mich die Aufregung nicht übernimmt. Aber spätestens, wenn ich mich zu meinen SoLD’nern umdrehe und ihre Gesichter sehe, bin ich ganz beseelt. Sie schauen mich mit so viel Freundlichkeit und so Wohlwollenden an! In diesem Moment würde ich euch alle am liebsten gleichzeitig umarmen! Danke, danke, danke, dass es euch gibt!
Das ist immer eine schöne Erinnerung daran, dass wir das gerade gemeinsam machen. Anders kann ich dieses Gefühl von Verbundenheit nicht erklären. Die Zuneigung, die ich in diesen Momenten für jeden Einzelnen spüre, überrascht mich immer aufs Neue. Vielleicht klingt das ab und zu ein wenig kitschig – aber es ist wirklich nicht leicht, die Innenwelt so zu beschreiben, dass andere verstehen, was genau man da fühlt. Wie anfangs schon erwähnt: Das alles erschöpft mich auch. Ich saß einmal mit Graham und Myriam (ebenfalls Regiehospitantin – eigentlich macht sie alles, was eine Regieassistenz auch tun würde, she’s super cool) im Büro. Die beiden sprachen darüber, wie viel man in so eine Produktion hineingibt – wie man sich auf eine gewisse Weise entblößt und verletzlich macht. Und wie viel man gleichzeitig zurückbekommt – an Energie, an Verbindung. Und trotzdem hinterlässt die Bühne Spuren. Wenn ich mich recht erinnere, hat Graham ungefähr gesagt:
‚It always takes something small from you, es kratzt an der Oberfläche.’ Darüber hatte ich nie nachgedacht – aber mit diesem letzten Stück kann ich das gut nachvollziehen. Ich habe aber beschlossen, dass ich das in Kauf nehme. Noch bin ich bereit, alles zu geben. Das sind wir alle. Und das wird man spüren!
Ich bin überzeugt: Die Premiere wird ein großes Fest! Mittlerweile ist es der 28. Mai – in zwei Stunden beginnt die Generalprobe. Damit endet die Probenzeit. Es ist nun wirklich der Anfang vom Ende. Wir sind eigentlich alle urlaubsreif, aber in der Luft beginnt es auch zu knistern. Es brennt uns unter den Fingernägeln – wir wollen Passion rausschreien! SCHAUT UNS AN! HÖRT ZU, WAS WIR ZU SAGEN HABEN!“
Nach achtzehn Jahren Stadt-, Schul-, Mehrgenerationen- und spartenübergreifenden Projekten ist das Tanzstück PASSION meine letzte Produktion am Theater Freiburg, bevor ich Freiburg im Sommer 2025 verlasse. Als Abschiedsprojekt gehen Maria Pires und ich gemeinsam mit den 210 Mitgliedern der SCHOOL OF LIFE AND DANCE (SoLD) ganz großen Emotionen nach, um einen Moment unserer Gegenwart festzuhalten. Yael Cremonesi, Mitglied bei SoLD seit 2013, berichtet auf diesem Blog über unsere letzte große Produktion, über Leid, Leidenschaft und den Abschied.
Text: Yael Cremonesi
Probenfotos: Britt Schilling