DIE ZEIT IST REIF

von | 21.09.2014

Die Zeit ist reif – Probenbild der Eröffnungsproduktion »Frühlings Erwachen« (Foto: M. Korbel)

Michael Kaiser, Künstlerischer Leiter des Jungen Theaters, über die Eröffnung der neuen Theatersaison – und darüber, wie so ein Spielplan eigentlich zustande kommt:

Nun starten wir also in die Spielzeit 2014/15. Es ist die neunte, die wir am Theater Freiburg beginnen, doch nach fast einer Dekade ist dieser Moment für mein Team und mich jedes Mal wieder aufs Neue spannend: Wenn der Sommer zu Ende geht und all die Ideen und Konzepte, die man zuvor in so einen Spielplan gepackt hat, anfangen, Wirklichkeit zu werden. Nach Monaten intensiven Probens entern die Jugendlichen aus »Frühlings Erwachen« jetzt also tatsächlich die Bühne und holen Wedekinds Drama in Form eines Musicals in die Gegenwart, während der Werkraum für den »Zauderer von Oz« nicht nur im Bühnenbildmodell in eine begehbare Comicwelt verwandelt wird.

Die Ideen zu Projekten wie diesen entstehen manchmal zwei oder drei Jahre im Voraus. Es gibt auch Stoffe oder Themen, die noch länger bzw. immer wieder im Gespräch sind und erst viel später realisiert werden. Weil man auf das richtige Leitungsteam wartet oder das betreffende Stück mit einem Mal ein fehlendes Puzzle-Teil in einem Gesamtspielplan darstellt.

So erging es uns mit »Rico, Oskar und die Tieferschatten« von Andreas Steinhöfel und dem Roadmovie-Roman »Tschick« von Wolfgang Herrndorf. Über beide Bücher haben wir jedes Jahr aufs Neue in unseren Spielplan-Klausuren gesprochen und nun war es mit einem Mal klar: Zwei klug komponierte Geschichten über Außenseiter, eine für Kinder, eine für Jugendliche und Erwachsene. Zwei Milieu-Studien, die beide ungewöhnliche Freundschaften beschreiben. Herbst 2014, Frühjahr 2015, Werkraum, Kleines Haus. Innerhalb weniger Tage hatten wir die Zusagen unserer beiden Wunsch-Regisseure und konnten direkt Proben- und Premierentermine eintüten.

Im Januar 2015 an den Reglern – Käpt'n Analog!

Auch das Projekt »Käpt’n Analog und die Digital Natives« (Januar 2015) kann auf einen längeren Reifungsprozess zurückblicken: 2011 hatte eine Gruppe Jugendlicher soziale Netzwerke infiltriert, ihre Funktionsweisen untersucht und das Ergebnis dieser Recherche in Form der Produktion »Myspace Invaders« auf die Bühne gebracht. Im Anschluss hatten wir das Gefühl, dass wir im nächsten Schritt uns selbst zum Untersuchungsgegenstand machen und überprüfen müssten, was der Paradigmenwechsel vom Analogen zum Digitalen mit uns macht. 3 Jahre, 64 GB MP3-Files, 1.900 Bilder vom letzten Urlaub in der Cloud und 4 externe Festplatten später schien uns die Zeit für dieses Vorhaben nun gekommen.

Das Team des Jungen Theaters: (v.l.) Benedikt Grubel, Thalia Kellmeyer, Michael Kaiser (o.), Graham Smith (u.), Gunda Möller

Oft ist es also so, dass die Entwicklung zu einer Position im Spielplan keinen geraden Weg nimmt und man erst verschiedene Stationen passiert haben muss, um zur stimmigen Projektidee zu gelangen. Im Falle der Oper »Die gute Stadt« (Juni 2015) lassen sich diese Stationen gut nachzeichnen: In der Spielzeit 2011/12 zeigten wir das Stück »8 Väter«, mit dem die Berliner Autorin Tina Müller eine Familienkonstellations-Übung für drei Schauspieler geschrieben hatte. Rund um die Premiere sprachen wir mit ihr über einen Stückauftrag – eine Recherche-Arbeit zur Situation von Freiburger Schülern, die den Titel »Falk macht kein Abi« erhielt und letztes Jahr uraufgeführt wurde. Und nun verfasst Müller das Libretto zu einer Oper, die das Thema »Stadt« in den Mittelpunkt rückt. Die Musik wird von der jungen Komponistin Sinem Altan stammen, mit der Müller bereits 2009 an der Neuköllner Oper Berlin eine Jugendoper realisiert hat.

Und während man in unserer digitalen Saisonvorschau unter www.junges.theater.freiburg.de erkunden kann, was wir im kommenden Theaterjahr planen, diskutieren wir bereits über die Spielzeit 2015/16 …