Sarah Mittenbühler hat am Jungen Theater Freiburg unter anderem die fantastischen Kostüme für IN EINEM TIEFEN, DUNKLEN WALD… (Spielzeit 2019/2020), PIPPI LANGSTRUMPF (Premiere am 14.11.2021) und DRACULA (im Spielplan ab 04.12.2021) entworfen. Außerdem wird sie die Werkraum-Produktion FRANKENSTEIN (Premiere am 19.02.2022) ausstatten. Zeit für ein Porträt.
Geboren wird Sarah Mittenbühler 1988 in Freiburg im Breisgau. Sie ist Tochter eines Biochemikers, und als sie zwei Jahre alt ist, führt dessen Beruf die Familie für zwei Jahre in die USA. Im Anschluss kehren die Mittenbühlers wieder in den Breisgau zurück; Sarah entdeckt hier die Vorliebe, in andere Rollen zu schlüpfen und sich zu verkleiden. Bereits mit sechs Jahren entwirft sie eigene Outfits, die sie geflissentlich in Skizzenbüchern festhält.
Nach Abschluss der Grundschule beeinflusst das Theater erstmals eine Entscheidung in ihrem Leben: Sie möchte das Droste-Hülshoff-Gymnasium im Stadtteil Herdern besuchen, vor allen Dingen, da sie in der Theater AG dieser Schule mitwirken möchte. Allerdings soll es noch drei Jahre dauern, bis sie dort aktiv werden kann, da die AG erst ab der Mittelstufe angeboten wird.
„Ich habe gerne selbst als Darstellerin auf der Bühne gestanden, meine Lieblingsrolle war die böse Tante im Stück HERR DER DIEBE. Zunehmend war ich jedoch fasziniert davon, wie Kostüme bei der Verwandlung helfen. Also habe ich einerseits weiter gespielt, andererseits aber auch vermehrt beim Kostüm mitgeholfen“, erzählt sie heute über diese Phase ihres Lebens.
Das Abitur macht Sarah im Jahr 2008 und weiß zu diesem Zeitpunkt, dass ihre berufliche Zukunft etwas mit Mode zu tun haben wird – „aber nicht mit Modedesign“, das steht damals bereits für sie fest. Sie ist fasziniert davon, was Kleidung aus Menschen machen kann und beginnt, sich für Mode zu begeistern, die nicht tragbar ist, „weshalb Haute Couture durchaus interessant für mich war“.
Noch während ihrer Abschlussprüfungen am Gymnasium entdeckt sie den Studiengang „Integriertes Design“ an der Hochschule für Künste in Bremen, der interdisziplinär zwischen Grafik-, Mode- und Produktdesign ausgerichtet ist. Sarah bewirbt sich und muss im Vorfeld eine künstlerische Arbeit zum Thema „Eingriff“ entwickeln. An der Hochschule gehen hierzu 500 Einsendungen ein („die meisten haben tatsächlich Herrenunterhosen eingeschickt“), 90 Personen werden eingeladen.
Einen Tag vor ihrem mündlichen Abitur reist Sarah für die Aufnahmeprüfung nach Bremen. „Wir hatten vier Stunden Zeit, um eine Aufgabe zu erfüllen, die mit ‚zentral / parallel‘ überschrieben war. Die anderen Bewerberinnen und Bewerber waren deutlich älter als ich und auch deutlich besser vorbereitet: Sie hatten verschiedene Arbeitsmaterialien dabei, während ich mit drei Stiften und einer Zeitung angereist war, die ich im Zug gelesen hatte. Die Aufgabe löste ich, indem ich die Zeitung an einer Puppe drapierte.“
Kurz darauf kommt die Zusage und Sarah zieht vom tiefen Süden in den hohen Norden, um als Jüngste in ihrem Jahrgang das Studium aufzunehmen. „Ich war vom ersten Augenblick in diese Hochschule verliebt. Sie lag ein bisschen außerhalb und bot für mich die perfekte Atmosphäre und Ausstattung. Dort gab es eine Keramikwerkstatt, eine Typografiewerkstatt mit Siebdruck, eine Holzwerkstatt und einen 3D-Drucker – alles war vor Ort.“
Trotz der Liebe zum Theater ist da weiterhin dieser Zweifel, ob ihr Weg sie nicht auch in die Modewelt führen könnte. Deshalb zieht Sarah 2011 für ein Semester nach London und arbeitet als Stipendiatin der Bremer Studienfonds bei dem damals noch kleinen Modelabel Georgia Hardinge. An den Wochenenden jedoch besucht sie immer wieder Theatervorstellungen.
„Nach meiner Zeit in London wusste ich, dass ich niemals in der Modewelt arbeiten würde. Es war spannend, aber eben nicht meine Welt, vor allem, da es in erster Linie ums Verkaufen ging. Man hat nicht die Freiheiten, die sich einem bieten, wenn man fürs Theater tätig ist. Außerdem fehlte mir die Verbindung zur Biografie des Menschen.“
Diese Verbindung von Mensch, Charakter und Kleidung wird im Laufe des Studiums zu Sarahs zentralem Thema. In den fünfeinhalb Jahren in Bremen findet sie zu ihrem unverwechselbaren Stil: „Das Erschaffen eines Charakters fasziniert mich – eines Charakters, der eine Geschichte erzählt und der von einer anderen Welt stammt. Fantasie spielt dabei eine wichtige Rolle für mich. Ich finde es unheimlich spannend, auf der Bühne etwas zu sehen, was mir im Alltag auf der Straße nicht begegnen kann.“
Ein Aspekt der Erschaffung von Kostümbildern jedoch ist für Sarah bis heute ein rotes Tuch: „Nähen war einfach nie meins“, sagt sie. „Ich greife lieber zur Heißklebepistole als zur Nähmaschine.“ Im Vorfeld ihrer Diplominszenierung jobbt sie deshalb in einem Wiener Kaffeehaus, um eine Schneiderin für ihre Abschlussperformance VOLUPTAS – PSYCHE AND AMOR engagieren zu können.
Nach einem Gastengagement für ein Stück der Bremer Shakespeare Company kehrt Sarah 2014 in ihre Geburtsstadt zurück und wird Ausstattungsassistentin am Theater Freiburg. „Die Zeit an diesem Haus war toll, aber auch hart. Ich habe viel gelernt, auch über mich selbst und darüber, wo meine Grenzen liegen. Damals war ich hochmotiviert und saß anfangs auf jeder Probe. Nach ein paar Produktionen jedoch merkt man, dass die eigenen Ressourcen zu Ende gehen und dass man auch ein Privatleben als Ausgleich braucht. In meinen Jahren als Assistentin habe ich auf vielen Ebenen erfahren, wie Theater wirklich funktioniert.“
Im Dezember 2015 bekommt Sarah einen Anruf vom Regisseur und Choreografen Gary Joplin, der sie als Kostümbildnerin für SWEENEY TODD engagieren möchte. Er kann zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, dass dieses Musical zufälligerweise ein absoluter Favorit von Sarah ist. Begeistert sagt sie zu. „Endlich konnte ich die ganzen Ideen, die sowieso in meinem Kopf waren, rauslassen.“
Welche Ideenfülle in diesem Fall auf die Bühne kam, fasst Alexander Dick in seiner Rezension des Musicals in der Badischen Zeitung zusammen: „Für Grusel und Groteske sorgen vor allem Sarah Mittenbühlers preiswürdige Fantasy-Kostüme irgendwo zwischen Gothic und Commedia dell’Arte – vielleicht der Höhepunkt der Produktion.“
Wenige Wochen nach der Premiere erhält Sarah erneut einen Anruf. Am Apparat ist der Regisseur Christian von Götz, der das Stück in Freiburg gesehen hat und begeistert von den Kostümen ist. Er engagiert Sarah für seine Inszenierung von IM WEISSEN RÖSSL in Trier und begründet damit eine Zusammenarbeit, die bis heute anhält. Die beiden bringen u. a. Friedrich Kuhlaus Oper LULU an der Royal Danish Opera auf die Bühne.
„In Kopenhagen herrschte ein anderes Arbeitsklima als an vielen deutschen Theatern“, beschreibt Sarah die Arbeit an dem dänischen Opernhaus. „Es wird viel ressourcenorientierter gearbeitet, man begegnet sich auf Augenhöhe, es herrscht eine andere Frauenquote und man achtet auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es ging um den Menschen an sich – und dadurch fühlt man sich nicht wie in einer Maschinerie.“
Dass Sarah nun die Kostüme für das letzte und das aktuelle Kinderstück zur Weihnachtszeit am Theater Freiburg entworfen hat, fühlte sich für sie an, „wie nach Hause zu kommen – es ist eine Rückkehr mit den Erfahrungen der letzten Jahre im Gepäck. Und dann noch mit diesen tollen Stücken.“ Für Sarah ist PIPPI LANGSTRUMPF nach der Musiktheaterproduktion GOLD! und IN EINEM TIEFEN, DUNKLEN WALD… die dritte Zusammenarbeit mit der Regisseurin Miriam Götz für ein junges Publikum.
Am Theater Freiburg statte Sarah außerdem das Ensemble der Produktion DRACULA aus – und war damit auf einer der kleinsten Bühnen am Theater Freiburg tätig. „Mir ist es wichtig, unterschiedliche Sachen zu machen. Ich habe viel auf großen Bühnen gearbeitet. Jetzt wieder einmal ganz klein zu werden und ins Detail gehen zu können, reizt mich ungemein. Das Publikum ist so nah dran, wodurch der Werkraum ganz andere Möglichkeiten als beispielsweise das Große Haus bietet. Man ist auf einer bestimmten Ebene sogar freier.“
Über die Kostüme zu Bram Stokers Romanadaption verrät Sarah nur wenig, um nicht zu spoilern: „Wir haben in dieser Inszenierung kleine Schrauben gedreht: Das Groteske entfaltet sich langsam, im besten Fall kaum merklich, vor den Augen der Zuschauerinnen und Zuschauer. Wir wollten die Menschen überraschen – und Grusel anders herstellen, als Film und Fernsehen das tun.“
In der Dokumentation ZWEITE HAUT begleitet die Filmemacherin Katrin Weissler Sarah Mittenbühler mit der Kamera von der Idee bis zur Premiere. Der Film kann hier im Folgenden oder auf unserem YouTube-Kanal angesehen werden.
PIPPI LANGSTRUMPF
Kinderstück von Astrid Lindgren in einer Bearbeitung von Christian Schönfelder mit Musik von Magdalena Ganter und Simon Steger // 5+
Regie: Miriam Götz // Bühne: Damian Hitz // Kostüme: Sarah Mittennbühler // Komposition: Magdalena Ganter, Simon Steger // Choreografie: Graham Smith // Dramaturgie: Laura Ellersdorfer
Nach der Online-Premiere im März 2020 entert Pippi Langstrumpf, das mutigste und stärkste Mädchen der Welt, nun endlich die große Bühne des Freiburger Theaters!
Premiere: Mi, 17.11.2021 // Großes HausDRACULA
Bram Stokers legendärem Vampir auf der Spur // für alle Unerschrockenen ab 12 Jahren und Erwachsene
Text, Regie und Performance: Gesa Bering, Benedikt Grubel, Michael Kaiser, Jan Paul Werge // Kostüme: Sarah Mittenbühler // Musik: Jan Paul Werge // Videoeffekte: Robert Läßig
Die Wiederkehr eines Wiederkehrers: Ein Theaterabend über Einsamkeit, Unsterblichkeit und Freundschaft – und die Frage, warum wir uns so gerne gruseln.
ab Sa, 04.12.2021 // WerkraumFRANKENSTEIN
Ein zum Leben erwachter Albtraum nach Mary Shelley // 14+
Text und Regie: Gesa Bering, Benedikt Grubel, Michael Kaiser // Animationen und Video: Maren Wiese // Bühne und Kostüme: Sarah Mittenbühler
Ausgehend von Mary Shelleys Roman begibt sich das Team von DIE VERWANDLUNG und DRACULA auf eine unheilvolle Expedition an den Rand menschlicher Abgründe und Fantasien.
Uraufführung: Sa, 19.02.2022 // Werkraum