Donald Trump im Weißen Haus, Greta Thunberg und die Klimakatastrophe, die Briten und der Brexit, die AfD und der Absturz mancher Volkspartei, Populismus allerorts und Trolle in den sozialen Netzwerken, das Ende der Ära Merkel – diese Liste mit Stichworten und Schlagzeilen ließe sich noch eine ganze Weile fortsetzen und führt bei vielen von uns zu diesem Gefühl, dass eine Menge von dem, was wir als bekannt vorausgesetzt haben, stark ins Wanken geraten ist. Wir befinden uns einmal mehr in Zeiten der Veränderungen, fundamentaler Einschnitte und Neu-Ordnungen, mitten in einem Strudel, in dem die Welt immer enger zusammenrückt und dabei immer neue und tiefere Gräben zu entstehen scheinen.
Die Spielzeit 2019/2020 im Jungen Theater ist daher mit UM/BRUCH/STÜCKE überschrieben: Wir zeigen also Stücke von Umbrüchen, untersuchen in unseren Produktionen unterschiedliche Bruchstücke des Wandels und unternehmen den Versuch, in dieser Gemengelage Perspektiven auszumachen.
Zum Auftakt zeigen wir 89/90 nach dem Roman von Peter Richter, der darin die sogenannten „Wendejahre“ des vergangenen Jahrhunderts in Ostdeutschland beschreibt. 30 Jahre später schauen wir zurück auf die letzten Tage der DDR und auf den gewaltigen Einschnitt in die Biografien der dort lebenden Menschen. Gleichzeitig ist Richters Coming-Of-Age-Erzählung ein Zeitdokument, das präzise offenlegt, wie ausgeprägt rechte Strömungen bereits zu DDR-Zeiten waren – ein Umstand, der zweifelsfrei Auswirkungen bis in unsere Gegenwart hat.
Das führt uns ins Jahr 2019: Seit dem 01. Januar gibt es neben „männlich“ und „weiblich“ offiziell eine dritte Geschlechtsoption – „divers“. In der Tanzproduktion THE 3RD BOX werden Jugendliche und junge Erwachsene, divers in Alter, kulturellem Hintergrund und Geschlechtsidentität, ausgehend von der eigenen Lebensrealität die Frage stellen: „Wachsen wir heute in einer offeneren Gesellschaft auf?“
Wir spulen wieder zurück – ins Jahr 1897: Als Bram Stoker seinen heute weltbekannten „Vampyrroman“ DRACULA veröffentlicht, beschreibt er darin das Aufeinandertreffen zweier Systeme mitten in der Zeit eines Umbruchs: Der Graf, ein übernatürliches Ur-Wesen aus den Wäldern Transsylvaniens, fällt in das fortschrittliche und aufgeklärte London Ende des 19. Jahrhunderts ein. Nach Kafkas DIE VERWANDLUNG entsteht im Werkraum eine neue Produktion, die einen Klassiker der Weltliteratur generationsübergreifend auf die Bühne bringt.
Überaus übernatürlich geht es auch im Figurentheaterstück DIE NACHT, ALS LU VOM HIMMEL FIEL zu. Denn darin ist der Mond auf die Erde und direkt in Martas Zimmer gefallen. Der Mond ist ein Mädchen und heißt Lu. Mit Lu begibt sich Marta auf einen nächtlichen Ausflug, bei dem sie wundersame Abenteuer erleben. Doch irgendwann wird die Sache ernst: Wenn das Mondkind bis zum Morgengrauen nicht wieder am Himmel ist, geht Mutter Erde vor Kummer kaputt!
Mutter Erde vor dem Untergang zu bewahren, ist ja derzeit ein Job, den vor allem Kinder und Jugendliche übernehmen, da die Erwachsenen es einfach nicht auf die Reihe bekommen. Im Projekt MAL KURZ DIE WELT RETTEN gewähren uns junge Menschen Einblicke in ihren Maßnahmenkatalog und nehmen uns mit auf performative Expeditionen in die Natur.
In LAND UNTER stehen sich alte und junge Tänzer_innen der SCHOOL OF LIFE AND DANCE auf der großen Bühne gegenüber und untersuchen die eigenen Biografien dahingehend, was wir verloren haben und was wir noch verlieren können: Im Zeitraffer erleben wir die Entwicklung von Kindheit bis Lebensabend, positionieren uns zwischen Utopie und Nostalgie und stellen uns den elementaren Fragen des Lebens und unserer Gesellschaft.
Dieser Spurensuche weiter folgend, nehmen wir im vor uns liegenden Theaterjahr eine Reihe von Produktionen erneut in den Spielplan auf, die an dieses Themenfeld andocken. In den Produktionen DIE KRONE AN MEINER WAND und GRENZLAND haben sich zwei Mehrgenerationen-Ensembles – Frauen im einen, Männer im anderen Stück, Betroffene wie Nicht-Betroffene – ihren Ängsten gestellt und erforscht, welche Erfahrungsräume eine lebensbedrohliche Krankheit öffnet und wie wichtig Gemeinschaft in ihrem Kontext werden kann. In der Spielzeit 2019/2020 zeigen wir beide Abende im Werkraum im Wechsel.
Der eine ist Lehrer, der andere Künstler. Beide haben in einem Experiment auf Zeit ihre Jobs getauscht und die Institutionen Schule und Stadttheater einem Stresstest unterzogen. Im auf dieser Recherche basierenden Stück DAS LEBEN DES ANDEREN geraten die Systeme Kunst und Bildung in eine krisenhafte Unordnung. Wer entscheidet, was gelernt wird? Nach welchen Regeln wird gespielt? Wie können die Schule und das Theater auf eine Gesellschaft im permanenten Wandel reagieren? Und was müssen wir womöglich verlernen?
„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt“ – mit diesem Satz beginnt die wahrscheinlich bekannteste Erzählung von Franz Kafka. Schicht um Schicht legt er darin Samsas Schicksal frei, beschreibt Gefühle von Machtlosigkeit, vom Fremdsein im eigenen Körper, von fundamentalen Veränderungen innerhalb der Familie. DIE VERWANDLUNG ist skurril, tragisch, urkomisch, todtraurig und grotesk. Unsere Inszenierung bringt all das auf die Bühne in einem Abend, der sich gleichermaßen an ein junges wie erwachsenes Publikum richtet.
SPIELZEITVORSCHAU 2019/2020 – ab sofort erhältlich!
Infos zu diesen und vielen weiteren Produktionen und Mitmach-Projekten des kommenden Theaterjahrs findet ihr in unserer neuen Spielzeitbroschüre, die ihr an der Theaterkasse mitnehmen oder direkt hier als PDF herunterladen könnt.