BLOGSBERG (5): JANAS KOSMOS

von | 09.12.2016

Als Künstlerischer Leiter des Jungen Theaters sitze ich normalerweise im Zuschauerraum und sehe mir Proben und Vorstellungen von dort aus an. Unserem Kinderstück »Die kleine Hexe« dürfte ich fünfzehn Mal auf diese Weise beigewohnt haben. Bis jetzt. Denn Anfang Dezember begleite ich Requisiteurin Jana Ludwig hinter die Kulissen und lerne die Inszenierung aus ihrer Perspektive kennen.

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Requisiteurin Jana Ludwig feat. der mysteriösmagische Schwebebesen

Ganz in schwarz gekleidet, betrete ich eine Stunde vor Vorstellungsbeginn die Requisite Großes Haus, die sich in unmittelbarer Nähe zur Bühne befindet. Um die Schulter trage ich eine Fotokamera und vor meiner Brust baumelt ein Aufnahmegerät, da ich mir das ambitionierte Ziel gesetzt habe, die ganze Zeit über, auf und neben der Bühne Fragen zu stellen und Antworten zu sichern.
Jana treffe ich im hinteren der beiden Räume, vor ihr liegt der erste Besen des Morgens. Sie erzählt mir, dass bei der letzten Vorstellung der daran befestigte Faden gerissen sei. Mit seiner Hilfe wird die Illusion erzeugt, dass die kleine Hexe ihn zwischen ihren Händen schweben lässt. Jetzt gilt es, die Schwebebesen-Konstruktion wieder bühnentauglich zu machen. Dann geht es mit mir im Schlepptau zur Bühne, auf der sich das Ensemble einsingt. Zunächst werden diverse Utensilien auf Requisitentischen, -regalen und im Bühnenbild eingerichtet. Bei Vormittagsvorstellungen, die um 9.30 Uhr beginnen, startet Jana bereits um 8 Uhr mit ihren Vorbereitungen. Und diese Einrichtungszeit ist überhaupt nur deshalb ausreichend, weil Janas Kolleginnen und Kollegen am Abend vorher bereits Dinge vorbereitet haben.

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Erstmals fotografiert: hinter den Kulissen von Balduin Pfefferkorns Ladengeschäft

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Einer der vielen Requisitentische – Hauptthemenfeld hier: Zubehör Rumpumpel

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Seitenbühne links: Die Holzscheitstapel stehen für den garstigen Oberförster bereit.

Ich merke schnell, wie kleinteilig diese Vorstellung ist: Während der 75 Minuten sieht das Publikum auf der Bühne unheimlich viele Stationen – den Blocksberg, das Haus des Raben Abraxas und der kleinen Hexe, den Marktplatz, Pfefferkorns Laden, den Wald der Klaubholzweiber usw. All diese Orte wurden von der Requisite umfangreich eingerichtet und ausgestattet. Im Haus der Hexe beispielsweise finde ich Abraxas‘ »Rabische Zeitung«, die speziell für diese Inszenierung hergestellt und gestaltet wurde.

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Ellenlange Listen mit den für das Stück benötigten Requisiten

Jana zeigt mir die Einrichtungsbücher, in denen sämtliche Requisiten katalogisiert, Abläufe notiert und Fotos zur Dokumentation hinterlegt wurden. Ich frage, ob sie diese Aufzeichnungen überhaupt noch benötigen würde. »Nein, ich habe eigentlich alles im Kopf. Und im Zweifelsfall befindet sich in meiner Tasche noch ein Spickzettel mit allen Umbauten. Die exakte Dokumentation ist für alle Kolleginnen und Kollegen wichtig. Da das Kinderstück insgesamt 45-mal gespielt wird, kann ich alleine gar nicht alle Vorstellungen abdecken. Hier kommt also zwangsläufig früher oder später das gesamte Team zum Einsatz.«

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Schauspielerin Stefanie Mrachacz (die kleine Hexe) schaut in der Requisite vorbei.

Während wir uns unterhalten, bekommen wir immer wieder Besuch aus anderen Abteilungen: »Weißt du etwas über das Gastspiel?« – »Habt ihr mal doppelseitiges Klebeband für mich?« – die Requisite ist ein Anlaufpunkt für alle möglichen Anliegen. Ob das immer so sei, frage ich Jana. »Auf jeden Fall, wir haben viel und bekommen viel mit.«

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Die Brotdosen von Abraxas und der kleinen Hexe werden vorbereitet …

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… danach füllt Jana Theaterstaub in den Blasebalg am Schornstein des Hexenhauses.

Dann geht es zurück auf die Bühne. Nachdem Jana die beiden Brotdosen für die »Vesperpause« von Hexe und Rabe verstaut hat, klettern wir gemeinsam auf eines der fahrbaren Holzelemente, um ganz oben einen handgroßen Blasebalg mit einem schwarzen Pulver zu befüllen. In der Vorstellung wird Michael Schmitter (alias: »Die fiese Muhme Rumpumel«) die kleine Hexe durch diesen Schornstein belauschen und als Quittung für ihr hinterlistiges Treiben Ruß ins Gesicht gepustet bekommen. »Das macht Michael nachher selbst, indem er unauffällig den Blasebalg drückt. Das Pulver ist Theaterstaub,« erklärt mir Jana.

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Im Anschluss geht es zurück in die Räume der Requisite. Aus einer Plastebox nimmt Jana zwei Wäscheklammern und weiße, essbare Mäuse, die wir in die Garderobe von Marie Bonnet bringen, die im Stück Abraxas spielt. Sie wird diese später auf der Bühne benötigen, und mir wird einmal mehr klar, wie wichtig es für den Ablauf ist, dass jedes einzelne Requisit stets am vorgesehenen Ort ist. Darauf muss sich eine Schauspielerin verlassen können, auch wenn sie selbst vorab checken muss, ob alles für sie eingerichtet wurde.

kleine_hexe_backstage_18 Hightech backstage: Bühnenlivestream @ Röhrenmonitor

Jetzt wird noch schnell die Heißklebepistole vorgeheizt – »falls ich während der Vorstellung etwas provisorisch reparieren muss« – und dann sehen Jana und ich auf dem Bildschirm in der Requisite dabei zu, wie die Vorstellung beginnt. Ich selbst werde dabei zunehmend unruhiger, da ich ständig fürchte, Jana mit meinen Fragen zu sehr abzulenken und am Ende die Schuld dafür zu tragen, dass sie ihren ersten Einsatz verpasst.
Ob sie gar nicht nervös sei, möchte ich wissen. »Nein, jetzt nicht mehr. Während der Endproben ist man schon noch nervös; da muss man erst schauen, was wohin kommt und wie die Umbauten funktionieren. Bei laufenden Vorstellungen ist dann sicher noch eine gewisse Anspannung vorhanden, aber die Nervösität hat sich gelegt.«

Jana hatte bereits zu Schulzeiten mit ihrem späteren Beruf zu tun: Als Mitglied der Theater-AG stand sie selbst auf der Bühne, hat sich jedoch auch damals schon um die Requisiten gekümmert. Direkt nach dem Abitur hat sie am Theater Freiburg im Bereich Regie hospitiert. »Ich wurde oft in die Requisite geschickt, um Sachen für die Proben zu holen. Dort fand ich es interessant, so dass ich in diesem Bereich ein weiteres Praktikum absolviert und dabei gemerkt habe, dass diese handwerkliche Arbeit genau mein Ding ist: An der Bühne, ganz nah dran am Geschehen, aber eben nicht auf der Bühne – diese Arbeit, die mit unterschiedlichsten Materialien und immer neuen Herausforderungen zu tun zu hat.«
Das war im Jahr 2003. Im Anschluss absolvierte sie eine zweijährige Ausbildung zur »Staatlich geprüften Requisiteurin für Theater, Film und Fernsehen«.

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Vorstellung läuft!

Kurze Zeit später befinden wir uns in einem engen Bereich rechts von der Bühne, den wir theaterintern »Proszenium« nennen. Dort nimmt Jana der Kräuterhexe ihre singende Säge und den Besen ab und löst für den wirkungsvollen Auftritt der Nebelhexe die Nebelmaschine aus. Im Dunkeln eilen wir hinter dem Bühnenbild auf die andere Seite der Bühne, wo die Utensilien der Kräuterhexe für spätere Einsätze verstaut werden. Normalerweise werden Nebelmaschinen am Theater Freiburg von der Beleuchtungsabteilung bedient. »In diesem Fall nicht,« erklärt mir Jana, »da die Kollegen sich auf der Bühne befinden und den roten Blocksberg-Vorhang in Wallung versetzen. Das Schöne an dieser Inszenierung ist, dass alle szenisch mitarbeiten. Später beim Auftritt des Försters wirft beispielsweise Petra, die Inspizientin der Produktion, Geräuschbleche von einem Eimer in den anderen.« Das ist tatsächlich ein eher ungewöhnlicher Job für die Inspizienz, die normalerweise den Darstellern und der Technik über ihr Pult Lichtzeichen gibt und Durchsagen tätigt.

kleine_hexe_backstage_16 Janas Spickzettel – alle Abläufe und Umbauten in Kurzformat

Jana und ich laufen immer wieder von einer Seite der Bühne zur anderen und wieder retour. Bald schon verliere ich den Überblick, vor allem über die vielen Besen, die ständig irgendwem abgenommen und irgendwohin gebracht oder verräumt werden. Obwohl ich das Stück schon so häufig gesehen habe, ist die Orientierung dahin: Welche Sequenz ist das jetzt gerade? Welche Szene folgt?
Jana jedoch behält den Überblick und flüstert mir geduldig zu, was wir im nächsten Schritt tun werden. Oft ist sie in Habachtstellung, kauert irgendwo auf oder neben der Bühne, wartet auf den nächsten Einsatz, beobachtet und behält alles im Blick. Und dann geht es plötzlich wieder rasant: Besen fliegen durch die Luft, werden von ihr gefangen, Herbstlaub wird vor die Windmaschine geworfen, nebenbei werden die Klaubholzweiber-Weidekörbe aus dem Weg geräumt.

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Ganz oben angekommen: Aussicht von der Z-Brücke auf die Bühne

Jana gibt der Inspizientin Bescheid, dass wir uns zur sog. Z-Brücke begeben. »Petra muss wissen, dass ich meinen Einsatz dort oben nicht vergessen habe.« Wir durchqueren diverse Treppenhäuser und nehmen für den Aufstieg selbstverständlich keinen Aufzug, denn: »Der könnte steckenbleiben und dann hätten wir ein echtes Problem«.
Dann befinden wir uns auf einem begehbaren Bereich über der Bühne und warten in luftiger Höhe, dass das dort installierte Lichtzeichen von Petra gegeben wird: Zuerst geht das rote Licht an, was »Achtung!« bedeutet. Kurz darauf erlischt es, und Jana lässt Blumen auf die Bühne fallen – was zweifelsfrei anzeigt, dass der Winter in der Geschichte beendet ist. Wir befinden uns in der Schlusskurve des Stücks, kurz vor dem großen Showdown auf dem Blocksberg.

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Nach der Vorstellung verräumt Jana alle Utensilien auf, neben und hinter der Bühne.

Als wenig später das Finale gesungen und der letzte Akkord von Ro Kuijpers und Band verklungen ist, fühle ich mich wie nach meinem ersten Dreisam-Joggen nach der Winterpause, die dann doch wieder zwei Monate länger als ursprünglich geplant angedauert hat. Wenn eine Doppelvorstellung angesetzt wäre, hätte Jana nun fünfzehn Minuten Zeit, um die Vorstellung wieder auf Anfang einzurichten, bevor der Einlass von Neuem beginnen würde. Ein ordentlicher Kraftakt, denke ich. Heute jedoch ist »Die kleine Hexe« nur einmal disponiert.

»So, das war’s.« Jana lächelt und nickt mir zu: »Jetzt heißt es aufräumen.«