AUF DER SPUR VON RITTERN, GAUKLERN UND DRACHEN

von | 06.11.2015

Mascha Unterlehberg (Social Media) und Michael Kaiser (Künstlerischer Leiter Junges Theater) beim Gespräch im Zuschauerraum des Großen Hauses

Hinter den Kulissen geht es momentan mittelalterlich zu: Burgmauern, Wappen, Lanzen, Langschwerter und Kettenhemden finden sich auf nahezu allen Etagen des Theater Freiburg. Denn in knapp einer Woche steht die Premiere des neuen Kinderstücks zur Weihnachtszeit an: »Der kleine Ritter Trenk« wird uns in längst vergangene Tage führen – in eine Welt der Ritter, Gaukler und Drachen.

Ich traf Michael Kaiser, den Künstlerischen Leiter des Jungen Theaters, zum Gespräch und zu einem Rundgang durch die Werkstätten, in denen an den vielen Details der Inszenierung gearbeitet wird (fotografisch dokumentiert von Maria Obermeier).

Das gesamte Team der Requisite Großes Haus arbeitet derzeit am »Ritter Trenk«.

Für den Markt braucht es allerlei Obst- und Gemüsekörbe.

Im Mittelalter standen jedoch noch andere »Köstlichkeiten« auf dem Speiseplan.

Übergroße Zähne, die am Ende des Stücks eine gewichtige Rolle spielen werden: Von welchem Tier die wohl stammen …?

Mascha: Wie entscheidet ihr eigentlich, welche Kinderstücke zur Weihnachtszeit auf der großen Bühne gezeigt werden?

Michael: Das ist sehr unterschiedlich, aber immer spannend bis zum Schluss. Manchmal engagieren wir ein Regieteam, das uns interessiert und das direkt einen Titelvorschlag für uns hat. Oft treten wir mit drei, vier Stücktexten an einen Regisseur oder eine Regisseurin heran. In diesem Jahr war für uns klar, dass wir erneut mit dem britischen Regisseur Robin Telfer arbeiten möchten, da wir alle sehr begeistert von seiner Inszenierung der »Bremer Stadtmusikanten« im vergangenen Winter waren. Barbara Mundel sammelte dann Favoritenlisten von meinen Kolleginnen und Kollegen aus der Schauspieldramaturgie und mir ein, auf denen alle die Stücke benannt haben, die sie in den letzten beiden Jahren ihrer Intendanz noch unbedingt realisiert sehen möchten.

Mit den Kolleginnen der Requisite (und stummen Mitspielern, die hier nicht weiter erwähnt werden wollen) geht es durch die Gänge des Theaters …

… über die Bühne …

… zum Hinterbühnenbereich, in dem bereits die nicht gerade handlichen Kulissenteile vom »Ritter Trenk« aufgebaut sind.

Mascha: Und welche Stücke standen auf deiner Liste?

Michael: Das ist natürlich streng geheim. Aber ich kann verraten, dass »Der kleine Ritter Trenk« von Kirsten Boie ein Titel auf meiner Liste war.

Mascha: Und warum hast du gerade dieses Stück darauf gesetzt?

Michael: Aus meiner Sicht ist der »Ritter Trenk« ein wunderbarer Stoff mit tollen Figuren und hochaktuellen Themen. Trenks Eltern geben ihm zu Beginn des Stücks zu verstehen, dass er als Leibeigener immer leibeigen sein wird, ein Leben lang. Trenk jedoch will der Leibeigenschaft entkommen und Ritter werden. Er kann zudem nicht verstehen, weshalb seine Eltern und die anderen Bauern die Ungerechtigkeiten ihres Grundherren, dem düsteren Ritter Wertolt dem Wüterich, sang- und klanglos akzeptieren. Trenk verabscheut Ungerechtigkeit zutiefst, nimmt deshalb all seinen Mut zusammen und macht sich auf den Weg in die Stadt, um seine Situation und die seiner Eltern zu ändern. Auf seiner Reise trifft er u. a. das adlige Mädchen Thekla. Auch sie will sich mit der Rolle, die andere ihr zuschreiben (»als Mädchen von hohem Stand sollst du sticken und Harfe üben«), nicht zufrieden geben. Thekla möchte eben nun einmal kein Burgfräulein sein, sondern wie Trenk ein Ritter werden.

Gemeinsam mit dem Rüstmeister Raphael Weber testet Requisiten-Chefin Eva Haberlandt und ihr Team hier eine Vorrichtung zum gezielten Zerstören eines Tonkrugs.

Per Knopfdruck kann der Krug, der aus einem speziellen Polymergips mit eingearbeiteten Glasfasern gefertigt wurde, in zwei Hälften zerspringen.

Mascha: Du hast die Autorin Kirsten Boie auch schon persönlich kennengelernt, nicht wahr?

Michael: Ja, schon zweimal beim Lirum Larum Lesefest. Kirsten Boie war 2008 und 2013 bei uns im Großen Haus zu Gast und hat die Kinder und mich bei ihren Lesungen in ihren Bann gezogen. Das Lesefest ist für mich immer eine tolle Möglichkeit, mit hochkarätigen Kinderbuchautoren direkt ins Gespräch zu kommen. In den letzten Jahren gab es einige außergewöhnliche Begegnungen, beispielsweise mit Klaus Kordon, vor nicht einmal einem Monat, mit Sabine Ludwig, Klaus-Peter Wolf, Paul Maar und vielen, vielen anderen.
Paul Maar ist übrigens auch so ein richtig toller Autor, der sein Publikum wirklich ernst nimmt. Nach seiner Lesung beim Lesefest 2009 hat er noch 2 1/2 Stunden Autogramme auf der Bühne gegeben und jedem – wirklich jedem! – Kind ein Sams ins Buch gemalt. Das hat mich nachhaltig beeindruckt.

Nächste Station: die Werkstatt von Theaterplastiker Reinhard Pilardeaux

Der Theaterplastiker wird auch Bühnenbildhauer genannt, nur dass er nicht Stein behaut, sondern mit leichten Materialien wie Styropor arbeitet.

Derzeit lässt er die Turnierpferde entstehen …

… und arbeitet an den Lanzen, die beim großen Zweikampf zum Einsatz kommen.

Außerdem hat er die Oberflächenstruktur der Burg dreidimensional gestaltet: Hierzu hat Pilardeaux zunächst mit Styropor die Form vorgearbeitet und dann eine spezielle Folie aufgeklebt.

Mascha: Wie entsteht ein Bühnenbild wie dieses?

Michael: Die Ausstatterin Sabina Moncys bespricht zunächst ihre Ideen mit dem Regisseur, denn das Bühnenbild muss natürlich zu seinen Vorstellungen der Inszenierung passen. Im nächsten Schritt baut sie ein Modell, damit man einen konkreten optischen Eindruck von ihren Ideen bekommt. Auf Grundlage dieses Modells kommt es dann zu einer sog. Bauprobe, bei der man mit alten Kulissenteilen vor Ort auf der Bühne überprüft, ob das alles so realisierbar ist. Danach werden technische Zeichnungen angefertigt, und das Stück geht in die hauseigenen Werkstätten. In der Schreinerei, Schlosserei, Deko-Abteilung, im Malsaal, beim Rüstmeister, beim Theaterplastiker und in der Requisite beginnt dann die Umsetzung.

Die Ideen fürs Bühnenbild stammen von Sabina Moncys, die im letzten Jahr bereits »Die Bremer Stadtmusikanten« ausgestattet hat.

Es besteht u. a. aus Eisenkonstruktionen und Holz, dessen Oberfläche von den Theatermalerinnen und -malern gestaltet wird.

Im Malsaal wird auch knapp eine Woche vor der Premiere noch an vielen Einzelteilen fürs Kinderstück gearbeitet: Bei einer opulenten Ausstattung wie dieser gibt es sehr viel zu tun für Hansjörg Tita und Team.

Wie ein Zahnräderwerk: Im Malsaal arbeitet man stets auch mit technischen Zeichnungen, damit später auf der Bühne auch wirklich alles zu-, auf- und ineinander passt. (Das Zahnrad selbst gehört jedoch zu einer anderen Produktion.)

Mascha: Im Vergleich zu anderen Produktionen – ist das Bühnenbild von »Der kleine Ritter Trenk« für die Werkstätten Alltag oder sehr aufwendig?

Michael: Die Bühnenbilder im Großen Haus sind oft mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Sabina hat uns neulich erzählt, dass sie beim Konzipieren für den »Ritter Trenk« an einen Erlebnispark aus ihrer Kindheit denken musste, der sich in der Nähe des Ortes befand, an dem ihre Großmutter gelebt hat. Dort wurden Ritterturniere durchgeführt, deren Arrangements sehr realistisch gestaltet waren und die sie bis heute zu beeindrucken wussten. Und genau das hat Sabina mit dem Bühnenbild versucht: Ihr Ziel war es, dass die Kinder im Zuschauerraum träumen und sich ganz und gar in die Ritterwelt imaginieren können. Daher sind Bühne wie Kostüme sehr realistisch, massiv und auch sehr aufwendig gearbeitet. Insofern – ja, diese Ausstattung ist auch für unsere Verhältnisse sehr opulent.

Mascha vor der Tageswerkstatt der Maske

Hier arbeiten Chefmaskenbildner Michael Shaw und seine Mitarbeiterinnen an Gesichtsteilen, Perücken und Bärten, die Kostümbildnerin Sabina Moncys in Form von sog. Figurinen entworfen hat.

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Maskenbildnerin Hannah knüpft die Perücke für den fiesen Wertolt. Er wird von Martin Weigel gespielt, dessen Kopf man hier als Gipsmodell im Hintergrund sieht. Bis zur Fertigstellung einer Perücke dauert es rund 40 Arbeitsstunden.

Die Perücken bestehen oft aus echtem Haar, das in allen erdenklichen Farben bestellt werden kann.

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Maskenbildnerin Wiolina bringt derweil eine andere Perücke in Form. Eine durchschnittliche Perücke besteht aus rund 50.000 Haaren.

Auch falsche Nasen, künstliche Ohren oder übergroße Warzen werden bei Bedarf in der Werkstatt der Maskenbildnerinnen modelliert.

Kaiser mit Klaue: Im Unterholz lebt eine Vielzahl von bekannten und weniger bekannten Waldbewohnern …

Mascha: Ladet ihr vorab Kinder zu den Proben ein, um eine Rückmeldung von der Zielgruppe zu bekommen?

Michael: Ja, das machen wir bei jeder Kinderproduktion, nicht nur beim Weihnachtsstück. Es ist für mich immer immens wichtig, vor der Premiere zu erfahren, was Kinder sehen, was sie vermissen, ob sie etwas irritiert und welche Sequenzen ihnen besonders zugesagt haben. Das unterscheidet sich nämlich häufig stark von unserer Sichtweise oder auch der ihrer Eltern. Häufig beschreiben Eltern oder Lehrer im Anschluss an solche Probenbesuche, dass die Kinder etwas nicht verstanden oder sich etwas anders umgesetzt gewünscht hätten. Fragt man aber die Kinder selbst, sehen sie das bisweilen ganz anders. Ich denke, man kann den jungen Zuschauern im Kindertheater durchaus etwas zutrauen. Sie verstehen die Dinge eben anders und haben oft noch nicht das Bedürfnis, alles logisch-kausal zu betrachten.

Mascha: Hast du dafür ein Beispiel?

Michael: Vor einigen Wochen hatten wir eine Schulklasse in den Endproben des Stücks »Die Reise zum Mittelpunkt des Waldes« zu Gast. Es war erstaunlich, mit welcher Präzision die 8-Jährigen die Inszenierung analysiert haben, wie emotional sie das Stück deuten und welche Bezüge sie herstellen konnten. Ich glaube, dass nur wenige Erwachsene die Inszenierung auf diese Weise betrachten bzw. zu betrachten in der Lage sind. Das ist vielleicht an Eigenschaften gebunden, die viele von uns im Laufe der Jahre nicht bewahren können, die man als erwachsener Mensch nach und nach verliert.

Kaiser mit Kettenhemd – nicht so schwer, wie es im ersten Moment wirkt.

In der Schneiderei werden die Kostüme handgefertigt und maßgeschneidert. Auch hier wird nach Maßgabe der Figurinen gearbeitet, deren Umsetzung die Kostümbildner mit den Gewandmeisterinnen Christa Wagner (Damenschneiderei) und Sabine Vatter (Herrenschneiderei) besprechen.

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Im Stück sind die Kleider des Adels lang, oft aus Samt gefertigt. Im Gegensatz zu den Bauern, die eher gedeckte Farben und Flicken tragen, sind die Reichen bunt und farbenfroh gekleidet.

Mascha: Was macht für dich ein gutes Kinderstück aus?

Michael: Wenn mir ein oder zwei Jahre nach der Premiere Eltern davon berichten, dass ihre Kinder noch immer über Szenen aus dem »Sams« oder die Katze aus den »Bremer Stadtmusikanten« sprechen würden, weiß ich, dass wir ein gutes Stück gezeigt haben. Wichtig ist, dass das Regieteam mit viel Fantasie ausgestattet ist, dass es die Kinder ernstnimmt, aber auch fordert, dass es die Darsteller von ihrer Sache überzeugt und dass im besten Fall eine Inszenierung mit unterschiedlichen Ebenen entsteht: Eine Kinderproduktion sollte im Grunde immer ein Familienstück sein, in dem die 5-Jährigen ebenso wie die 10-Jährigen ebenso wie die Eltern etwas entdecken können – ohne dass die jüngeren Zuschauerinnen und Zuschauer dabei verloren gehen.

Mascha: Und »Der kleine Ritter Trenk« ist so ein Stück?

Michael: Davon bin ich überzeugt! Spätestens wenn Trenk seinem Schwert einen Namen geben soll, werden manche Väter, Mütter und ältere Geschwister an »Game of Thrones« denken. Das Schöne am »Ritter Trenk« ist jedoch, dass die Geschichte im Gegensatz zu dieser TV-Serie, ein Statement für Gewaltlosigkeit ist. Denn Trenk und Thekla meistern sämtliche Abenteuer ausschließlich mit Klugkeit und Verstand und ganz ohne Blutvergießen.

Im Atelier der Ausstattung unterm Dach des Theaters wird der Helm von Wertolt dem Wüterich schwärzer als schwarz gestrichen.

Ausstattungsassistentin Josefine verwandelt derweil ein Krokodil in einen Jungdrachen.

Der kleine Ritter Trenk
Kindertstück nach Kirsten Boie (5+)
Regie: Robin Telfer / Bühne und Kostüme: Sabina Moncys / Komposition: Günter Lehr / Dramaturgie: Veit Merkle, Josef Mackert / Mit: Jürgen Herold (Ritter Trenk), Heiner Bomhard / Božidar Kocevski (Momme, Ritter Dietz), Martin Weigel (Zink, Ritter Wertolt), Lena Drieschner / Lisa Marie Stoiber (Thekla), Holger Kunkel / Melanie Lüninghöner (Ritter Hans), Stefanie Mrachacz (Fürstin) / Musiker: Thomas Blau (Dudelsack, Drehleier, Schalmei), Tim Schicker / Manuel Mühl (Gitarre, E-Gitarre, Mandoline), Peer Kaliss (Schlagzeug, Perkussion, Davul)
Premiere: So. 15.11.15, 16 Uhr, Großes Haus
Weitere Familienvorstellungen: Sa. 21.11.15, 17 Uhr / So. 22.11.15, 11 Uhr / So. 29.11.15, 11 Uhr / So. 6.12.15, 16 und 18 Uhr / So. 20.12.15, 11 und 14 Uhr / Sa. 26.12.15, 16 und 18 Uhr / Sa. 2.1.16, 16 und 18 Uhr / So. 3.1.16, 11 Uhr / Mi. 6.1.16, 11 Uhr / So. 10.1.16, 11 Uhr / So. 17.1.16, 14 und 16 Uhr / So. 24.1.16, 16 und 18 Uhr (letzte Vorstellung)