NIEMAND HAT MICH AUFGEHALTEN

von | 04.11.2018

… zumindest für einige Tage!

Mein Name ist Christian Heigel. Gewöhnlich unterrichte ich die Fächer Deutsch und Englisch an einem Freiburger Gymnasium. Vom 24. bis 28.10.2018 bin ich jedoch in einen ganz anderen beruflichen Kosmos eingetaucht: das Theater Freiburg. Ich habe den Beruf temporär mit Michael Kaiser getauscht (seinen Bericht findet man hier), der dort das Junge Theater leitet und meinen Job bereits vor den Sommerferien übernommen hat. DAS LEBEN DES ANDEREN nennen wir dieses Queraussteiger-Projekt, am 11. Mai 2019 ist Premiere.

Hinter mir liegt eine ereignisreiche Woche: Ich habe das Theater Freiburg aus allen möglichen Perspektiven kennengelernt, viele spannende Leute getroffen und so viele Erfahrungen gesammelt, dass ich wohl Wochen brauchen werde, um das alles zu sortieren. Und ich habe die eine oder andere Aufgabe erledigt, die mir Michael aufgetragen hat. Eine davon war das Schreiben dieses Blog-Beitrags. Doch wo soll ich anfangen, was soll ich auswählen?

Jeder Tag brachte so viel Neues, Unerwartetes. Denn Michael hat mir nicht nur einen Teil seiner Arbeit hinterlassen, sondern mir auch einige „Praktika“ in anderen Abteilungen besorgt. Und am Ende eines jeden langen (!!!) Arbeitstages war ich der festen Überzeugung, dass sich das Erlebte am darauf folgenden wohl nicht würde toppen lassen. Und jeder neue Tag strafte mich Lügen! Wobei „toppen“ es nicht trifft. Ich könnte gar nicht sagen, was letztendlich am aufregendsten war. Ich entscheide mich für einige Auszüge aus dem Erinnerungsprotokoll, den Rest hebe ich mir für die Bühne auf.

24.11.2018, 07.00 Uhr
Nach einer unruhigen Nacht klingelt der Wecker. Auftakt für meinen ersten Tag als Leiter des Jungen Theaters Freiburg. Das frühe Aufstehen bin ich gewohnt (auch wenn ich mich nie daran gewöhnen werde), aber normalerweise weiß ich doch ziemlich genau, was mich erwartet. Heute ist alles anders. Den Plan für den ersten Tag habe ich zwar von Michael bei unserer „Übergabe“ bekommen, doch vieles bleibt noch vage. So meinte Michael etwa, ich solle doch vorsichtshalber mal meinen „Turnbeutel“ mitbringen, da ich im Laufe des Tages Bekanntschaft mit Graham Smith (Junges Theater, Abteilung Tanz) und seiner SCHOOL OF LIFE AND DANCE-Tanzgruppe (kurz: SoLD) machen würde – dazu später mehr.

24.11.2018, 08.50 Uhr
Erfolgreich habe ich mit meinem „Chip-Schlüssel“ die Pforte des Theaters passiert, niemand hat mich aufgehalten, ich scheine hier nun wirklich dazu zu gehören. Michaels Büro finde ich auch gleich. Hier hat schon die „Übergabe“ mit ihm stattgefunden. Jetzt, da es „mein“ Büro ist, wage ich einen noch genaueren Blick. Ordnung und Übersicht dominieren. Jedes Buch, jeder Stift, jeder Briefumschlag hat seinen festen Platz. Ich muss an Michaels ironisch-mahnende Worte denken, das Zimmer am Ende „besenrein“ zu übergeben. Doch gerade stehe ich noch ganz am Anfang. Alles scheint bereit für meinen ersten Arbeitstag. Aber wie ging das nochmal mit dem Abhören der „Voice-Mailbox“? Michael hat mir doch alles erklärt. Nach kleineren Rückschlägen bin ich so weit, dass ich mich an die Arbeit machen kann. Für den ersten Tag hat mir Michael einen Terminplan gegeben. Den Plan für die nächsten Tage werde ich jeweils einen Tag im Voraus bekommen – das sei im Hinblick auf seinen Arbeitsalltag realistisch. Mein Tag beginnt mit „Bürozeit“. Im Postfach finde ich eine Mail von Michael, mit der Bitte, seinen Blog-Beitrag zum LIRUM LARUM LESEFEST Korrektur zu lesen.

Die Aufgaben häufen und der Schreibtisch füllt sich.

24.11.2018, 09.15 Uhr
Meinen ersten Auftrag habe ich erledigt, Michael meine Korrekturvorschläge geschickt – bereits eine Viertelstunde nach meinem offiziellen Dienstbeginn. (Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Es wird, auf die gesamte Woche gesehen, das erste und letzte Mal gewesen sein, dass ich mit dem anstehenden Arbeitspensum dermaßen im Soll liege. Von jetzt ab zieht das Tempo stetig an.)

24.11. 2018, 14.00 Uhr
Hinter mir liegen ein knapp dreistündiger Sitzungsmarathon und ein anregendes Mittagessen mit einigen meiner neuen Kolleginnen und Kollegen aus den Abteilungen Dramaturgie und Kaufmännische Direktion. Alle empfangen mich sehr freundlich und überaus offen. So bekomme ich ganz neue Einblicke in die Welt des Theaters. Die ist für mich in den letzten Stunden viel weiter und komplexer geworden. Bei meiner Begeisterung für die Kunst hatte ich bisher irgendwie übersehen, dass die auch finanziert und vermarktet werden muss. Das war ziemlich naiv von mir. Ich merke, dass ich hier noch viel lernen kann, und freue mich schon auf weitere Begegnungen und Gespräche. Doch vorerst wartet ganz viel konkrete Arbeit auf mich. Mein Postfach hat sich in der Zwischenzeit beträchtlich gefüllt, Michael versorgt mich mit Arbeit. Termine koordinieren, Ankündigungstexte schreiben, in der Maske vorbeischauen, um etwas für DAS LEBEN DES ANDEREN abzuklären. Ich beginne eine To Do-Liste anzulegen. Bis 17.00 Uhr (Termin mit Graham und den SoLD „Sprossen“) sollte doch ausreichend Zeit sein, um das alles zu erledigen, oder?

Was Leckeres zwischendurch: kollegiale Mittagspause mit Carola und Nadja

24.11.2018, 22.15 Uhr
Mein erster Arbeitstag am Theater Freiburg ist vorbei. Ich rechne kurz nach: Insgesamt hat er über 13 Stunden gedauert. Ich bin müde, aber glücklich. Mit dem Erledigen der Schreibtischarbeit bin ich nicht ganz durchgekommen. Dafür habe ich wunderbare Einblicke in die Welt des Jungen Theaters bekommen. Als „neuer Chef“ muss ich ja schließlich wissen, was hier läuft. Also war ich bei zwei Proben am Start. Bei Graham Smith und den „Sprossen“ wurde ich für 90 Minuten ein Teil der Gruppe. Wir haben uns gemeinsam Choreografien ausgedacht und im Kreis das „Pinguin“-Spiel gespielt. Die Energie, die Bewegungslust und die konzentrierte Neugierde der Kinder – sowie von Graham und seiner Partnerin Maria – berühren mich sehr. Das ist etwas ganz anderes als Schulunterricht. Bei der anschließenden Probe mit dem HEIM UND FLUCHT ORCHESTER konnte ich – aufgrund meiner mangelnden Eignung als Instrumentalist – wenig Praktisches beitragen. Doch auch hier beeindrucken mich Energie und Spielfreude. Selbst Spielerinnen, die an dem Abend zum ersten Mal dabei sind, werden mühelos integriert und spielen so, als wären sie schon immer dabei gewesen.

25.11.2018, 09.30 Uhr
Mein zweiter Arbeitstag beginnt mit dem wöchentlichen „Jour Fixe“ des Jungen Theaters. Mit meinen engsten Mitarbeiter_innen Nadja, Carola und Graham bespreche ich alles, was anliegt und geplant werden muss. Die Musikauswahl für das ADVENTSSINGEN ist ebenso Thema wie die einzuholenden Einverständniserklärungen von Eltern und Schule für die Auftritte der SoLD-Tanzgruppen von Graham. Vieles höre ich so zum ersten Mal. Ich bin aber auch froh, selbst etwas beitragen zu können. Im Auftrag von Michael bespreche ich mit Carola Inhalte für die kommenden Newsletter des Jungen Theaters und mit Nadja den aktuellen Planungsstand für eine Produktion, die für die kommende Spielzeit angedacht ist. Außerdem vereinbare ich mit allen dreien noch Interviewtermine für DAS LEBEN DES ANDEREN.

25.11. 2018, 11.20 Uhr
Ich stecke mitten in der „Bürozeit“. Gerade schreibe ich an einem Text für den Januar-Leporello des Theaters, in dem das Programm des Jungen Theaters vorgestellt werden soll. Abgabe ist „in Kürze“ und „der Text darf gerne kreativ sein“ schreibt mir Michael per Mail. Und bitte maximal 1.000 Zeichen Länge. Ich freue mich auf die Aufgabe, denn Schreiben macht mir grundsätzlich Spaß. Gleichzeitig spüre ich einen gewissen Druck. Andere Aufgaben warten auch, der Wettlauf gegen die Zeit geht in die nächste Runde.

Wo bitte geht’s hier zu meinem Büro?

25.11.2018, 17.50 Uhr
Langsam geht mein Praktikum an der Theaterkasse zu Ende. Günter Daubenberger hat mich in die Geheimnisse des Online-Ticketing eingeweiht und es mir sogar zugetraut, unter seiner Anleitung Theaterkarten an die Kunden vor Ort zu verkaufen. Einen netteren und kompetenteren Ausbilder als ihn hätte ich mir nicht wünschen können. Und auch die Stimmung im Team ist toll. Die empfangen mich wirklich mit offenen Armen. Einen ganz schön anspruchsvollen Job machen die, wie ich finde. Viele Klicks und Kniffe, bis die Kundin ihre Karten in den Händen hält – bei Günter und seinen Kolleg_innen geht das mühelos und fix, bei mir dauert alles erheblich länger. Und ich will ja auch nichts falsch machen, schließlich ist hier Geld im Spiel – das der Kundschaft und das des Theaters. Der Kontakt mit den Kund_innen macht echt Spaß, wenn ich auch aufgrund meiner Angespanntheit nicht ganz so locker plaudern kann wie die erfahrenen Kolleg_innen.

26.11.2018, 12.30 Uhr
Ich bin mittlerweile in einem wirklichen Epizentrum des Theaters angekommen, dem KBB, dem Künstlerischen Betriebsbüro. Hier laufen alle Fäden zusammen und hier tobt echt das wilde Theaterleben, obwohl ich noch immer nicht auf der Bühne bin. Doch ganz große Oper ist das hier irgendwie auch. Es gilt, den Tagesplan für den nächsten Tag zu schreiben, Abrechnungen, Krankmeldungen und Urlaubsanträge zu bearbeiten und, und, und …
Bei alledem sind Anna, Chantal und Thomas die Ruhe selbst und dennoch wahnsinnig flott. Ob ich das so könnte? Und auch hier herrscht eine unglaublich tolle Stimmung, alle sind so wahnsinnig nett. Ich werde auch gleich eingebunden – in die Arbeit und das anschließende Mittagessen. Und erkenne immer mehr, welch ungeheure Maschinerie dieses Theater ist, bei dem ein Rädchen ins andere greift. So viele unterschiedliche Bereiche und doch arbeiten alle am gleichen „Produkt“.

Dieses Foto entstand NICHT an der Theaterkasse!

Moment mal, gab es eigentlich eine Längenvorgabe für diesen Blog-Text? Zumindest ist Michaels Pendant-Text wohl kürzer. Vielleicht sollte ich also an dieser Stelle meinen Beitrag beenden. Ich will ja hier auch noch nicht alles verraten. Vielleicht nur so viel: Zwischen und nach den geschilderten Episoden liegen noch viele weitere Höhepunkte. Meine Theatertage endeten schließlich auf der Bühne des Großen Hauses, glücklich, erschöpft, gerührt und mit vielen, vielen Fragen im Kopf … Obwohl … was heißt hier endeten … Die Arbeit an mancher Aufgabe zog sich weit über die Woche hinweg hin und tut es noch immer.