AUF EINEN KAFFEE MIT THALIA SCHUSTER

von | 17.11.2011

»Pünktchen und Anton«

Die junge Regisseurin Thalia Schuster ist am Theater Freiburg keine Unbekannte: Bereits in der Spielzeit 2006/7 richtete sie das Kinder-Mitmachkonzert »Peter und der Wolf« szenisch ein, später etablierte sie den musikalischen Spielklub und inszenierte »Rotkäppchen«, »Der 35. Mai«, »Die kleine Hexe« sowie die Oper »Hänsel und Gretel«. Sie gründete in Birstein / Hessen 2008 eigene Festspiele und brachte jetzt Kästners Kinderbuchklassiker »Pünktchen und Anton« auf die Bühne.

Unser Mitarbeiter Florian Reichenbach traf Thalia Schuster, um mit ihr über ihre neuste Inszenierung zu sprechen.

Wie sind Sie bei der Bearbeitung von Erich Kästners Kinderbuchklassiker vorgegangen?
Nachdem ich das Buch gelesen hatte, wollte ich »Pünktchen und Anton« auf der Bühne als Krimi erzählen: Die Kriminalgeschichte von Robert dem Teufel, der bei den Pogges einbricht, um deren Tresor auszurauben, und schließlich von der dicken Berta Schachmatt gesetzt wird. Andererseits gibt es so etwas wie einen zweiten Krimi: Pünktchen geht nachts heimlich mit ihrem Kindermädchen Fräulein Andacht unter der Weidendamer Brücke betteln – und das dürfen ihre Eltern auf keinen Fall wissen. Bei dieser Aktion hat sie ihren besten Freund Anton kennengelernt. Dieses Geheimnis verbindet und verbündet Pünktchen und Anton. Neben diesen zwei geheimen Vorgängen wird von Pünktchen erzählt, die aus einem sehr wohlhabenden Haushalt stammt, von ihren Eltern aber zu wenig Aufmerksamkeit erfährt, und Anton, aus sehr armen Verhältnissen stammend, der dafür ein sehr gutes Verhältnis zu seiner Mutter besitzt, von dem Pünktchen nur träumt.

Gab es besondere Herausforderungen bei der Bearbeitung von Erich Kästners Textfassung?
Kästners Theaterfassung, die unserer zugrunde liegt, beginnt klassisch zu Hause bei Familie Pogge und endet auch dort. Ich habe – wie auch schon bei der »Kleinen Hexe« – versucht, die zwei für mich besonders interessanten Themen an den Anfang zu stellen: Die Freundschaft von Pünktchen und Anton, die gemeinsam durch dick und dünn gehen, sowie die Geschichte von Robert dem Teufel. Dieser bricht in unserer Fassung zu Beginn aus dem Gefängnis aus, eine Sequenz, die wir zusätzlich erfunden haben.
Außerdem war es mir wichtig, Kästners Fassung aus den 1930er-Jahren herauszuholen und die Geschichte möglichst zeitlos zu erzählen, so dass genug Platz für Phantasie und unterschiedliche Erzählweisen bleibt. So spielen beispielsweise bei uns, wenn Pünktchen betteln geht, die Streichhölzer keine so große Rolle mehr und aus dem »Kinderfräulein« haben wir ein »Kindermädchen« gemacht.

»Pünktchen und Anton«

Was zeichnet die einzelnen Figuren in Ihrem Stück aus?
Pünktchen sprudelt vor Phantasie und Tatendrang, bleibt aber von ihren strengen Eltern mit ihren Ideen und Möglichkeiten alleingelassen. Ihre Familie lebt im Überfluss: Die Mutter kommt vom Shoppen nach Hause, geht abends zu Gesellschaften und Empfängen, und hat – ohne dass sie es böse meint, denn sie kennt es selbst gar nicht anders – für ihre Tochter einfach keine Zeit, da sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist. Dem Vater geht es ähnlich: Er ist mit seiner Gehstockfirma sehr erfolgreich, und seine Familie erscheint ihm praktisch perfekt. Er hat zwar einen etwas besseren Draht zu seiner Tochter, ist aber dennoch tief erschüttert, als er Pünktchen abends auf der Straße betteln sieht. Denn das liegt völlig jenseits seiner eigenen Lebensvorstellung. Für seine Tochter dagegen bedeutet das abendliche Betteln mit dem Kindermädchen großes Theater und Abenteuer.
Anton, der aus armen Verhältnissen kommt, hat im Gegensatz zu seiner quirligen Freundin den Ernst des Lebens schon kennen gelernt und zeichnet sich durch ein großes Verantwortungsbewusstsein aus, besonders im Bezug auf seine schwer kranke Mutter. Tagein, tagaus kümmert er sich um sie, damit sie eines Tages wieder arbeiten und Geld verdienen kann. Trotz allem ist aber auch Anton in erster Linie noch ein Kind, das gerne spielt. Er liebt es daher, mit Pünktchen zusammen zu sein. Sie bringt ihn auf andere Gedanken und auch mal zum Lachen.
Fräulein Andacht ist natürlich nicht nur Pünktchens Kindermädchen, sondern vor allem die Partnerin von Robert dem Teufel. Sie hat es mindestens genauso faustdick wie er hinter den Ohren, ist von Anfang an beteiligt an Roberts Ausbruch und schmiedet gemeinsam mit ihm den Einbruchsplan bei den Pogges.
Zu guter Letzt ist da noch Klepperbein, bei uns kein Portiersjunge, sondern ein cooler »Halbstarker« aus der Nachbarschaft. Mit seinen vielleicht fünfzehn Jahren – er ist somit deutlich älter als Pünktchen und Anton – versucht er, Pünktchen zu beeinflussen oder zu erpressen. Im Gegensatz zu Kästner ist er bei uns in Pünktchen verliebt.

Die Geschichte spielt an unterschiedlichen Orten. Wie wurde das bühnenbildtechnisch umgesetzt?
Für mich ist es immer wichtig, dass sich die Bühne mit dem szenischen Geschehen verbindet, dass man die Bühne nutzt, um nicht nur in ihr, sondern auch mit ihr zu spielen. Daher haben wir ein Bühnenbild aus vier großen, drehbaren Elementen entwickelt, mit denen wir die reiche Welt der Pogges, das von Armut gezeichnete Umfeld der Familie Gast sowie die Stadt darstellen können.
Den bei Pogges herrschenden Überfluss verdeutlichen wir durch allgemeine Überdimensioniertheit. Alles ist viel größer als gewohnt. Um den Gegensatz zwischen Arm und Reich auch bildlich darzustellen, haben wir dagegen bei den Gasts zu Hause alles unterdimensioniert. Die Schauspieler spielen hier auf sehr engem Raum. Eine weitere Besonderheit am Bühnenbild ist sicherlich der Swimmingpool der Familie Pogge, den wir für eine Szene im Orchestergraben eingerichtet haben!

»Die kleine Hexe«

Erich Kästner schreibt in der Einleitung zu »Pünktchen und Anton«: »Ich werde alles, was in diesem Buch mit Nachdenken verbunden ist, in kleine Abschnitte zusammenfassen. Diese »Nachdenkereien« tragen dann Titel wie »Von der Pflicht«, »Von der Selbstbeherrschung« oder »Von der Phantasie« und wirken teilweise wie kleine moralische Lehreinheiten. Wie sind Sie mit diesen »Nachdenkereien« vorgegangen?
In Kästners Bühnenfassung gibt es diesen Herrn Zeigefinger, der alles moralisch hinterfragt – wie ein Zeigefinger eben. Er stellt sozusagen das Pendant zu den »Nachdenkereien« dar. Einige dieser Nachdenkereien bzw. Textpassagen des Herrn Zeigefingers wurden bei uns als Lieder umgenutzt, das ist beispielsweise der Fall, wenn Pünktchen über die ungerechte Verteilung von Arm und Reich nachdenkt.
Allerdings möchte ich kein tiefmoralisches Stück mit »Zeigefinger« auf die Bühne bringen, bei dem einer an der Seite steht und sagt: »Hört zu, es gibt Arm und Reich!«. Alles soll vielmehr spielerisch vermittelt werden.

Inzwischen sind Sie ja bekannt für die enorm wichtige Rolle der Musik in Ihren Produktionen. Wie sieht es dieses Mal aus?
Für »Pünktchen und Anton« haben wir vier Musiker direkt auf die Bühne geholt, einen Akkordeon-Spieler, einen Tubisten, einen Percussionisten und eine Saxophonistin. Die Lieder, mit denen wir alle sehr zufrieden sind, wurden bereits im Vorfeld entwickelt und komponiert. Die Musiker begleiten zusätzlich per »Micky Mousing« – eine Technik, die in vielen Trickfilmen angewandt wird – viele Bewegungen der Schauspieler live auf der Bühne. Das konnte nur dadurch so gut gelingen, dass die Musiker in vielen Proben dabei waren, um sich besser auf die Schauspieler einstellen zu können.
Im Großen und Ganzen kann man also sagen, dass wir auch in dieser Inszenierung wieder sehr großen Wert auf die Musik gelegt haben.

Die nächsten Familienvorstellungen von »Pünktchen und Anton« stehen am So. 20.11.11 um 11 und um 13 Uhr an. »Hänsel und Gretel« wird am 3. Dezember wieder in den Spielplan genommen, »Die kleine Hexe« folgt am 6. Dezember.